Die Kreuzberger Schweinetage sind gezählt

■ Kinderbauernhöfe dürfen ihre elf Sauen nicht mehr mit Küchenabfällen füttern

Kreuzberg. Zufrieden grunzend wühlen Aurora, Eva und Yean- Rose auf dem Kinderbauernhof im Görlitzer Park im Matsch. Doch die Tage des glücklichen Kreuzberger Schweinelebens sind möglicherweise gezählt. Schuld daran ist die sogenannte EG-Viehverkehrsverordnung: Küchenabfälle dürfen nur noch dann an die Borstenviecher verfüttert werden, wenn sie zuvor „abgedampft“ worden sind. Den vier Kreuzberger Kinderbauernhöfen mit insgesamt elf Sauen flatterte nun ein Bescheid des Veterinäramts mit der Ankündigung ins Haus, die Schweine müßten zum 1. Januar 1993 abgeschafft werden, wenn die Viehverkehrsverordnung nicht befolgt werde.

Die EG-Futterrichtlinien sollen verhindern, daß sich die Borstentiere mit der Schweinepest infizieren. Nach Angaben des zuständigen Kreuzberger Amtstierarztes, Jürgen Sievers, wird der Pestvirus durch Schweinefleischreste in Küchenabfällen übertragen. Die einzige Möglichkeit, den Virus abzutöten, sei, die Abfälle in einem speziellen Dampfkochtopf auf 90 Grad zu erhitzen und „unter ständigem Rühren“ eine Stunde lang auf gleichbleibender Temperatur zu halten. Ein solcher Topf, Autoklave genannt, kostet um die 8.000 Mark. Die Anschaffung ist für die Kinderbauernhöfe unerschwinglich, zumal noch eine Schweineküche mit einem „unreinen“ und einem „reinen, gekachelten Raum“ für die Futterprozedur eingerichtet werden müßte.

Einzig wenn die Schweine rein vegetarisch mit Kartoffeln, Möhren und Getreide sowie Trockenfutter ernährt werden, kann von dem Dampfverfahren Abstand genommen werden. Aber selbst wenn die Kinderbauernhöfe das Geld für die teure vegetarische Kost aufbringen würden, bliebe immer noch zu verhindern, daß die Schweine vom Publikum unbemerkt gefüttert werden können. „Eine einzige durch den Zaun geschobene Wurststulle kann ausreichen, die Schweinepest zu übertragen“, sagt Sievers.

Das letzte Fall, daß eines der rund 4.000 Berliner Schweine an der Seuche erkrankte, liegt sieben Jahre zurück. Dennoch ist der Veterinär Sievers nicht bereit, bei den Kinderbauernhöfen eine Ausnahme zu machen. „Ein einziger Fall der Viruserkrankung würde bedeuten, daß die gesamte Region Berlin/Brandenburg gesperrt werdem müßte: kein Wurststückchen käme für mindestens ein halbes Jahr mehr raus.“ Die Viehverkehrsverordnung ist in der Bundesrepublik schon länger in Kraft. Daß nun auch die Kreuzberger Kinderbauernhöfe mitziehen müssen, liegt nach Informationen der taz daran, daß dem Bezirk von oben Druck gemacht wurde.

Für die Mitarbeiter des „Kinderbauernhofs auf dem Görlitzer“ ist eine Schweinehaltung ohne Sondergenehmigung nicht denkbar. „Wir könnten auf Fleischabfälle zugunsten von Gemüse und Zusatzfutter verzichten, noch mehr Schilder aufstellen und noch genauer darauf achten, daß das Fütterungsverbot eingehalten wird“, sagen sie. Aber vom Publikum abschotten könne und wolle man die Borstenviecher nicht. „Den Schweinen auf die Schnauze und aufs Fell zu klopfen ist für die Kinder und Erwachsenen nun mal das Wichtigste.“ Der stellvertretende Amtstierarzt Sievers, so sagt er der taz, will erst mal die Antwort der Kinderbauern auf seinen Brief abwarten. „Um den Seuchenfrieden in Berlin zu erhalten“, so Sievers, „wäre es mir am liebsten, die Kinderbauernhöfe würden auf die Schweinehaltung verzichten.“ Eine Sondergenehmigung existiere nicht, auch nicht für den Zoo.

So als hätten sie geahnt, was sich da zusammenbraut, ließen Aurora, Eva und Yean-Rose gestern nachmittag plötzlich Schlammpfützen Schlammpfützen sein und verkrochen sich in den Stall. Plutonia Plarre