Der Umweg über Shanghai

■ Das Jahr der Hoffnung – Sind Chinas Medien im Umbruch?

Vom 12. bis zum 19.Oktober dieses Jahres tagte der 14. Parteikongreß der chinesischen Kommunistischen Partei (KPCh) in Peking. Ein Ergebnis dieses Kongresses war eine neu gewählte Parteiführung – ein neues Politbüro. Der Parteikongreß ist laut der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua für die Reformer ein voller Erfolg gewesen. Die Kommunistische Partei Chinas hat beschlossen, die Marktwirtschaft in ihr Programm aufzunehmen, und Reformer um den stellvertretenden Ministerpräsidenten Zhu Rongji, Ex-Bürgermeister der Wirtschaftsmetropole Schanghai, wurden ins Politbüro gewählt. Der neue Weg für eine künftige reformorientierte Wirtschaft in China kam nicht aus heiterem Himmel, sondern wurde durch eine Medieninitiative des fast schon totgeglaubten Mentors der chinesischen Politik, Deng Xiaoping, im Januar dieses Jahres exzellent vorbereitet.

„Linienkampf“ in der Partei über die Medien

Genau wie Mao Zedong, der während der Kulturrevolution in den sechziger Jahren die Stadt Schanghai benutzte, um Revolution und Klassenkampf in die Hauptstadt Peking zu tragen, bediente sich Deng Xiaoping der alten Strategie, der Attacke von außen. Dengs Reise nach Südchina im Januar 1992 wurde mit dem Slogan „Schneller, mutiger und effektiver“ für mehr Reform und Öffnung begleitet. Als dankbare Wegbereiter erwiesen sich zunächst die örtlichen Medien. Dengs Sozialismus mit chinesischer Prägung wurde mit einer Flut an Artikelserien, zuerst in Schanghai, später auch in Peking bedacht. Deng benutzte beispielsweise die Pekinger Volkszeitung, die nach dem Massaker nur ultra-orthodox berichtete, um mit einer Serie von Leitartikeln für ein offensiveres Reformverständnis, insbesondere bei der Modernisierung seines Wirtschaftssystems zu werben. Die Beiträge, die natürlich nicht direkt von Deng stammten, lasen sich wie eine Rehabilitierung des gestürzten Regierungschefs Zhao Ziyang, doch sollten sie nur provozieren.

Obwohl der pensionierte Spitzenpolitiker in den Beiträgen nur beiläufig erwähnt wurde, ist die Urheberschaft der angeführten Gedanken und Argumente unschwer zu erkennen. Sie deckten sich mit den aktuellen politischen Betrachtungen des 87jährigen. Als meßbarer Grad des Erfolges ist das Einschwenken der gesamten Presse auf die neue Propagandalinie zu werten. Für die erzkonservative Volkszeitung bedeutete die neue Botschaft pragmatischer Offenheit eine Wendung um 180 Grad.

Noch im Vorfeld des Kongresses hatte der 86jährige konservative Erzrivale Dengs, Chen Yun, die von Deng geforderte Modernisierung als unkorrekt und konfus bezeichnet; sie werde die marxistisch-leninistische Grundlage der Partei schädigen und zu Unruhen führen. Jedoch war es nicht das erste Mal, daß Deng aus einer scheinbar schwachen Position wieder ins Zentrum der Macht vorstieß. Nach seiner Medienattacke im Januar dieses Jahres hat Deng das gesamte Politbüro wieder auf seine reformorientierte Linie gebracht.

Funktion und Rolle der chinesischen Medien

Die Massenkommunikationsmittel in der Volksrepublik China erfüllen sich teils widersprechende Funktionen: Agitation, Propaganda, Organisation, Erziehung, Information, Kritik und Selbstkritik sowie Kontrolle. Die Medien sind allerdings nur Organe und Werkzeuge der herrschenden Partei. Es gibt bis heute kein ausgearbeitetes Pressegesetz. Grundlagen aller journalistischen Tätigkeiten sind die Doktrin der Kommunistischen Partei Chinas und die verfassungsmäßigen Grundsätze. In Artikel35 der Verfassung von 1982 ist festgelegt, daß „die Bürger der Volksrepublik China die Freiheit der Rede, der Publikation, der Versammlung, der Vereinigung sowie der Durchführung von Straßenumzügen und Demonstrationen“ genießen. Man wird fast an die Verfassungen westlicher Demokratien erinnert, in denen die Pressefreiheit garantiert wird. Doch sind diese chinesischen Verfassungsfreiheiten eingegrenzt durch die Artikel51 und 54 der Verfassung von 1982. Danach dürfen die staatlichen Interessen nicht verletzt werden und keine Handlungen vorgenommen werden, die der Sicherheit, der Ehre und dem Interesse des Vaterlandes schaden könnten. Somit üben die Medien keine Kontrollfunktion aus, sie stellen keine „vierte Gewalt“ dar und haben sich den presserechtlichen Vorgaben der Partei anzupassen. Die Forderung der chinesischen Journalisten nach einem Pressegesetz sollte auch eines der wichtigsten Hauptanliegen während der 89er Demonstrationen werden. Solche Parteivorgaben erschienen 1981 in Form einer ZK- Weisung mit dem Titel „Beschluß über Richtlinien in Zeitungen, Zeitschriften, Nachrichten- und Rundfunkwesen“. Nach der Niederschlagung der Demonstrationen am 4.Juni 1989, ja schon nach der Verhängung des Kriegsrechts am 20.Mai 1989, begann die staatliche Propagandamaschinerie mit der Vereinheitlichung der Medien, die sich bis heute noch nicht wieder so frei entfalten konnten wie in den Tagen des „Pekinger Frühlings“.

Reformen im Mediensystem

Als ein Akt der momentanen Reformfreudigkeit ist die Umbenennung des staatlichen Auslandssenders „Radio Beijing“ in „Radio China International“ zum 1.Januar 1993 durch Parteifunktionäre zu werten. Der Programmdirektor, Cui Yuling, begründete diese Maßnahme mit einer notwendigen Unterscheidung vom Lokalsender „Radio Beijing“. Doch läßt sich diese Vorgehensweise wohl eher als ein Neubeginn deuten. Doch nicht nur auf internationaler, sondern auch auf lokaler Rundfunkebene weht ein neuer Wind der Freiheit. Am 28.Oktober 1992 wird ein unabhängiger Rundfunksender in Schanghai-Dongfang seinen Betrieb aufnehmen. Am 1.Januar 1993 soll ein unabhängiger Fernsehsender gestartet werden.

Auch im Printmedienbereich entwickelt sich die Reform-Stadt Schanghai zum Vorreiter der Reformen. Am 17.September dieses Jahres erschien die Nullnummer der englischsprachigen Zeitung Shanghai Star. Die erste offizielle Ausgabe soll im November dieses Jahres herauskommen und hauptsächlich in Schanghai und dem Jangtse-Gebiet vertrieben werden. Wenn man bedenkt, daß seit 40 Jahren keine englischsprachige Zeitung mehr erschien, als letzte zu Beginn der fünfziger Jahre die Shanghai News, so ist das auch als ein Zeichen der Öffnung Chinas zum Westen zu werten. Die Zeitung soll laut Herausgeber Chen Li das dortige Investitionsklima verbessern.

Zensierte Filme werden wieder gezeigt

Es ist unwahrscheinlich, daß durch die Reformen nur die Wirtschaft betroffen wird. So werden einige bisher zensierte Filme, wie die des international preisgekrönten Regisseurs Zang Yimou, nun in den öffentlichen Kinos gezeigt. Kritische Berichte über die staatliche Mißwirtschaft pflastern die Titelseiten der großen chinesischen Gazetten. Aber auch nach dem Sieg der Reformer läßt sich nicht verläßlich sagen, wie es in China weitergeht. Zunächst wird mit der angestrebten wirtschaftlichen Öffnung keine politische einhergehen. Die Symptome ähneln stark denen, die die Demonstrationen 1989 einleitete, und man versucht, sie diesmal durch eine schrittweise Öffnung zu vermeiden.

Auch 1989 waren zunächst die Medienorgane die ersten gewesen, die die neuen Freiheiten befürworteten und nutzten, auch wenn sie später nach und nach wieder ausgeschaltet wurden. Deshalb erscheint der beendete Parteitag zumindest als Silberstreif am Horizont. Das Hoffen nicht nur der chinesischen Journalisten, sondern auch der chinesischen Bevölkerung auf mehr Freiheiten, auf das baldige Ende der „Jahre der Lügen“ geht weiter. Erbil Kurt