Ungebrochener Glaube an die Ideale der Demokratie

■ Die Delegierten aus Ostdeutschland fügen sich, bescheiden, wie sie sind, in die Absprachen über die künftige Rollenverteilung in den Leitungsgremien der Partei

Das Thema heißt nicht „Europa“: als der Chef der christdemokratischen EG-Dachpartei, Wilfried Martens, redet, sind die Stuhlreihen leer. Das Thema heißt auch nicht „Steuererhöhungen“: die wird man nun mal beschließen müssen. Nein, das wahre Thema dieses Parteitags heißt Heinz Eggert. Wie sein Auftritt vor den 1.000 Delegierten aus Ost und West ausfallen wird, welches Stimmergebnis er mit seiner Kandidatur als stellvertretender Parteivorsitzender erzielen wird, darum kreisen die Debatten am Rande des Parteitags in erster Linie. Eggert muß Interviews geben, bis ihm der Kopf schmerzt und seine Mitarbeiterin nach Tabletten rennt. Alle gucken auf den sächsischen Innenminister, der mit seiner Kandidatur das in jahrzehntelanger Übung erprobte Parteitagsritual aus Absprachen und Kungeleien erschüttert und überhaupt wieder zum Thema gemacht hat.

„Ein herzhafter Mann“, lobt ihn ein Ostberliner Delegierter. „Ein blendender Mann“, sekundiert der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Wissmann. Das Urtalent Eggert, glaubt ein Berliner CDU-Mann, könnte sich zum Sprecher der ostdeutschen Christdemokraten mausern und damit eine Rolle ausfüllen, die der Verkehrsminister und Sprecher der Ostabgeordneten im Bundestag, Günther Krause, nicht so recht ausfüllt. Krause sei nur ein „Techniker“, Eggert ein „Politiker“.

Chancen auf einen Erfolg räumt Eggert dennoch kaum einer ein. An der „Rheinschiene“ werde er scheitern, prophezeien erfahrene Parteitagsmatadore. Die westdeutschen Landesverbände von Baden-Württemberg, Nordrhein- Westfalen, Hessen, Rheinland- Pfalz und auch die niedersächsische Parteiführung hatten ihre Delegierten im Vorfeld vergattert, für ein sorgsam austariertes Paket von vier Kandidaten zu stimmen.

Das sei nun mal jahrzehntelange Übung, verteidigt Wissmann die Kungelei. Solche Absprachen verhinderten, daß ein Kandidat durch eine Niederlage beschädigt werde, erklärt ein anderer westdeutscher Christdemokrat. Arbeitsminister Norbert Blüm als profilierter Sozialpolitiker und Verteidigungsminister Volker Rühe als neuer Hoffnungsträger können sich deshalb ihrer Wahl sicher sein, ebenso Frauenministerin Angela Merkel — sorgt sie als Ostdeutsche und Frau doch für die Erfüllung einer „Doppelquote“.

Nur der Stuttgarter Ministerpräsident Erwin Teufel muß trotz der Wahlabsprache ein bißchen um seinen Einzug ins Präsidium zittern. „Warum tritt der überhaupt an?“ fragt sich ein Delegierter. Als Regierungschef ist er ohnehin qua Amt im Präsidium vertreten, wenn auch nicht stimmberechtigt. Da sehen auch einige westdeutsche Delegierte lieber Heinz Eggert in der Parteispitze vertreten.

Andererseits kann sich der tapfere Sachse nicht einmal sicher sein, ob die 151 Ostdeutschen Delegierten geschlossen hinter ihm stehen. Die ostdeutschen Landesverbände haben eine regelrechte Absprache nach dem Vorbild ihrer westdeutschen Parteifreunde gescheut. „Das ist eine geheime Wahl“, wehrt die thüringische Bundesministerin und Reformchristdemokratin Christine Lieberknecht die Frage ab, ob sie für Eggert stimmen wird.

Viele Ossis glauben noch an die Ideale der Demokratie — aber sie sind sich auch uneinig, ob Eggert wirklich ins Präsidium muß. Erstens sei „richtig, daß Blüm als Sozialpolitiker dabei ist“, zweitens sei es „wichtig, daß Merkel dabei“ ist, und drittens brauche man jemand, der „frisches Blut“ in die Spitze bringt, zählt Udo Haschke aus Jena seine Prioritäten auf. In wessen Adern denn dieses frische Blut fließt, verrät der Chef der thüringischen Landesgruppe in der Unionsfraktion im Bundestag nicht.

Grummeln über Steuererhöhungen

Viele Ostdeutsche sind einfach bescheiden. Ein sächsischer Redner leitet seine Rede in der Aussprache am Nachmittag mit einem „Wort des Dankes“ ein, Dank „für das, was die Westdeutschen schon für uns getan haben“. Zwei Ostdeutsche unter den Vizevorsitzenden, das sei nicht unbedingt nötig, meint Haschke. Einen „Fürsprecher“ neben Krause brauche man nicht. „Wir brauchen Leute, die die Sacharbeit machen. Den Fürsprecher haben wir im Kanzler.“

Helmut Kohl hat es freilich ein bißchen mitverursacht, daß die Kandidatur von Eggert so sehr im Mittelpunkt steht. Seine Rede zu Beginn des Parteitags sorgt nicht dafür, daß ein Funke überspringt. „Der Parteitag hat noch keine Richtung“, analysiert ein erfahrener Stratege. Schon die Ankündigung von Steuererhöhungen war kaum geeignet, die Delegierten vom Stuhl zu reißen. Eine baden- württembergische Rednerin bekommt kräftigen Beifall, als sie sich bitter über die „Slalompolitik“ der Bundesregierung beklagt. Über der Arbeit der Parteibasis liege „ein Schatten“, sie werde zunehmend schwierig. Stets habe die Parteibasis gegenüber den Bürgern den Bonner Kurs verteidigt, Steuererhöhungen seien nicht nötig. „Jetzt werden wir alle als Lügner hingestellt.“

Kohl hatte sich am Sonntag abend öffentlich über die glatte Mehrheit im Parteipräsidium gefreut: nur zwei Gegenstimmen, das sei doch was. Doch die Kritik hat damit nicht aufgehört. Elmar Pieroth, Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung, hatte an der Abstimmung gar nicht mehr teilgenommen. Er bleibt bei seinen Bedenken: der Steuerbeschluß könnte den Kassenwarten in Bund und Ländern die Motivation nehmen, in den öffentlichen Haushalten nun wirklich einzusparen.

Das Grummeln über die Steuererhöhungen reicht bis nach Ostdeutschland. Unter den Westdeutschen hat es kaum einer verstanden, warum der Ostsprecher Günther Krause die Steuererhöhung zunächst ablehnte und erneut seinen Vorschlag einer Investitionsanleihe ins Gespräch brachte. „Das klingt wie Rechthaberei“, meint ein Christdemokrat.

Doch die Ossis, die ihren Glauben an die Wirksamkeit der besseren Argumente noch nicht gegen ein Denken in taktischen Wendungen aufgegeben haben, können Krause verstehen. „Die Mehrheit der ostdeutschen Bundestagsabgeordneten halten die Investitionsanleihe nach wie vor für eine denkbare Alternative“, sagt der Thüringer Udo Haschke. Weil sie zweckbestimmt in Investitionen im Osten geflossen wäre, hätte sie anders als eine Steuererhöhung nicht den Druck weggenommen, im Bundeshaushalt kräftig einzusparen. Doch mit der Forderung nach einer Investitionsanleihe habe man sich wohl die westdeutsche Bankenlobby zum Feind gemacht: die fürchte die Konkurrenz des billigen Geldes. Hans-Martin Tillack, Düsseldorf