Stasi-Überprüfung für Profs

■ Das Otto-Suhr-Institut diskutierte die Spionagevorwürfe gegen den Ex-Dekan Hanns-Dieter Jacobsen/ Ekkehart Krippendorf wurde Rufmord vorgeworfen

Dahlem. Ein Großteil der DozentInnen am Otto-Suhr-Institut (OSI) für Politikwissenschaft der FU Berlin wird einen Antrag auf Überprüfung durch die Gauck-Behörde stellen. Das ist eine Konsequenz der Vorgänge um den Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen und ehemaligen Dekan des OSI, Hanns-Dieter Jacobsen, der am vergangenen Mittwoch unter dem Verdacht der Spionage für die Stasi verhaftet worden war (die taz berichtete). Am Montag abend diskutierten DozentInnen und Studierende des OSI auf einer außerordentlichen Vollversammlung im Henry-Ford- Bau der FU über die Vorwürfe und deren mögliche Auswirkungen.

Gesine Schwan, die seit dem Rücktritt Jacobsens das Amt als Dekanin am Fachbereich innehat, zeigte sich betroffen über den schwerwiegenden Verdacht. Bis zum Beweis des Gegenteils gelte auch für Jacobsen die Vermutung seiner Unschuld, betonte sie. Schwan begrüßte die Bereitschaft von 39 der 45 DozentInnen, eine Untersuchung bei der Gauck-Behörde zu beantragen. Die Verdächtigungen schadeten dem OSI und der Politikwissenschaft, doch die Überprüfung sei keineswegs das Eingeständnis von Schuld oder Fehlverhalten: „Die Freiheit auch zu radikaler Kritik an unserer Gesellschaft und unserer Politik muß strikt gewahrt bleiben“, forderte Schwan.

Im Verlauf der Diskussion wurde deutlich, mit wieviel Bauchschmerzen die ProfessorInnen einer Überprüfung zugestimmt hatten. Wolf-Dieter Narr, Professor für politische Theorie, betonte seine generelle Opposition gegenüber Geheimdiensten aller Art und gegen Regelanfragen bei irgendwelchen Geheimdiensten. Die Überprüfung durch die Gauck-Behörde sei deshalb ein Ausnahmefall und müsse dies auch auf jeden Fall bleiben. Einen schweren Stand vor dem überfüllten Hörsaal hatte Ekkehart Krippendorf. Der Friedensforscher hatte in einem Artikel in der taz vom 26.10. („Verrat auf akademisch“) Jacobsen einen „wissenschaftlich uninteressanten Mitläufer“ genannt und ihm ebenso wie der ganzen Zunft Verrat an der Wissenschaft vorgeworfen. Krippendorf blieb bei seiner These: Die strafrechtliche Seite eines möglichen Verrats Jacobsens sei unwichtig, der wirkliche Verrat sei die Schaffung von Herrschaftswissen durch die Wissenschaft statt einer kritischen Auseinandersetzung mit der Politik.

Aus dem Publikum dagegen wurde Krippendorf vorgehalten, er begehe Rufmord an einem Kollegen. Zwar sei das Anliegen berechtigt, über die Verstrickung der Wissenschaft mit Herrschenden und Geheimdiensten zu reden, doch sei dies weder die Form noch die Zeit dazu. Außerdem müsse eine klare Unterscheidung getroffen werden zwischen der Politikberatung einer demokratisch gewählten Regierung und der Mitarbeit bei einem Geheimdienst.

Falls die Beschuldigungen gegen Hanns-Dieter Jacobsen gerechtfertigt sind, wäre dies der dritte Fall eines Stasi-Mitarbeiters an der FU, hieß es in der Diskussion weiter. Realistisch müsse man mit insgesamt etwa 20 Fällen rechnen. Wie wenig aussagekräftig allerdings die Überprüfung durch die Gauck-Behörde sein kann, zeigt der „Fall“ Jacobsen: laut Anklage solle er Auslandsspionage über die USA betrieben haben, erklärte FU-Vizepräsident Werner Väth. Die Akten der dafür zuständigen Hauptabteilung IX seien allerdings 1990 vernichtet worden; selbst bei einer möglichen Zusammenarbeit mit dem MfS stünde Jacobsen daher nicht in den Stasi- Akten. Bernhard Pötter