„Cassius Clay von Mannheim“

Mit 40 Jahren will Charly Graf, einstiges Wunderkind des deutschen Boxsports, wieder in den Ring steigen/ Foreman als Vorbild  ■ Von Freddy Schissler

Kempten (taz) – Es riecht nach Schweiß im Fitneßcenter. Hinten im linken Eck hängt ein roter Sandsack, auf den in kurzen Abständen zwei Fäuste einprügeln. Boxtraining. Längst schon glänzt Charly Grafs Haut wie Bronze.

Charles Graf, heute 40, schuftet fürs Comeback. 39 Profikämpfe hat er auf seinem breiten Buckel, 18 im Amateurbereich. Nur zweimal mußte sich der ehemalige Berufsboxer und Deutsche Meister während seiner Karriere geschlagen geben. Darauf ist er stolz. Charly gehörte einst zu den feinen Adressen in der europäischen Boxszene. Seit drei Jahren lebt er in Kempten im Allgäu. Und dort plant er die spektakuläre Rückkehr. Wie viele andere Kollegen packte auch ihn die Sehnsucht nach alten Zeiten. Ex-Weltmeister George Foreman diente als Vorbild. „Als der plötzlich wieder in den Ring zurückkehrte“, erzählt Graf, „habe ich mir gedacht: Das kannst du auch probieren.“

Es ist immer die gleiche Leier mit den alternden Sportlern. Eines Tages wachen sie auf und wissen, daß sie es nochmals packen wollen. Da spürt man nicht mehr die Schmerzen im Rücken, die Bewegungen, so scheint es, sind wie früher, und das mit der Kondition ist eben nur eine Frage der Zeit. Warum, fragen sich die Stars von gestern, warum nur mußte die Karriere beendet werden? Sie sind besessen von der Idee, wieder Liebling der Massen zu sein, im Scheinwerferlicht zu stehen. Charly blättert oft in den Fotoalben, die beweisen, daß er einer der Großen im deutschen Boxsport war.

Geboren wurde Graf – als Sohn der Arbeiterin Elisabeth Graf und des US-Gefreiten Charles Blackwell, der wenige Monate, nachdem sein Sprößling das Licht der Welt erblickt hatte, in die Staaten zurückging – im Mannheimer Arbeiterviertel Waldhof, inmitten qualmender Schlote und vom Staub grau gefärbter, alter Häuser. Verwöhnt wird man in dieser Gegend nur selten. Die Ellbogen sind dort wichtigstes Hilfsmittel, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Und eben die Fäuste. Nach 18 Amateurkämpfen wurde der talentierte Jungboxer Profi und erntete Vorschußlorbeeren en masse. Den „Cassius Clay von Waldhof“ nannten ihn die Fans, er sei „eine Million Dollar wert“, befand Promoter Joachim Göttert, und im Handumdrehen war Graf ein gefragter Medienstar: die große schwarze Hoffnung des damals schwer darniederliegenden Boxsports in der Bundesrepublik.

Nach einigen leichten Siegen und einer Niederlage bekam die angestrebte Traumkarriere jedoch einen Knacks nach dem anderen. Graf vernachlässigte den Sport, trieb sich im Mannheimer Nachtclubmilieu herum, war häufig in Schlägereien verwickelt und kam schließlich ins Gefängnis. Im Jahr 1982 scheiterte ein erster Comeback-Versuch, weil Graf kurz vor dem angesetzten Kampftermin verschwand. Als er später wegen verbotenen Glücksspiels erneut ins Gefängnis mußte, bestritt er einige recht erfolgreiche Kämpfe als Hafturlauber. Der große Wurf blieb ihm jedoch verwehrt. 40jährig will er ihn nun nachholen.

„Ein Charly Graf macht keine leeren Sprüche“, hat er mal gesagt. Und deshalb stählt er inzwischen seine Muskeln an den Geräten eines Fitneßcenters, zweimal pro Woche geht es in den Ring, wo Sparringspartner warten. Er hat ein großes Ziel vor Augen. Deutscher Profi-Meister will er werden. Ende nächsten Jahres, sagt er, möchte er den Titelträger Axel Schulz herausfordern.

Es liegt noch ein hartes Stück Arbeit vor Charly Graf. Bei einer Körpergröße von 180 Zentimetern bringt der Koloß 117 Kilogramm auf die Waage. Zu viel, um den Jüngeren zu zeigen, wo der Bartel noch immer den Most holt. „Zehn Kilo müssen runter“, weiß er selbst, „mindestens zehn.“ Doch dann sei er unbezwingbar. „Von der Schnelligkeit habe ich nichts eingebüßt, und schon gar nicht von meinen Reflexen.“ Charly will die Vergangenheit tatsächlich zurückholen. Daß auch einer wie er nicht jünger wird und das Älterwerden akzeptieren muß, mag ihm in diesen Tagen und Wochen keiner sagen. Auch die Freunde nicht, und schon gar nicht Ehefrau Sandra. Die ist vielmehr kräftig am Daumendrücken. „Natürlich hoffe ich auf ein gelungenes Comeback.“ Die Boxwelt würde staunen, sicherlich. Auch Charlys 17jähriger Sohn aus erster Ehe. Der heißt ebenfalls Charly und ist deutscher Junioren-Meister im Boxen. Vielleicht, sagt der 40jährige Graf, vielleicht gebe es ja sogar mal einen Titelkampf zwischen Charly und Charly. Es lebe der Sport-Traum.