Dragan Velikic: Die Kriegsinsel

■ Kriege, hieß es, seien heute Kriege der Medien. Die Wahrheit sieht leider anders aus – falls es nötig war, liefert der Krieg in Bosnien-Herzegowina täglich Beweise. Slobodan Milosević könnte eine Witzfigur im Simulationszirkus sein. Aber er ist echt...

Unterschiedlich sind die Situationen, in denen ein Mensch sich gedemütigt fühlen kann: wenn man ihn bei einer Lüge ertappt ebenso wie der Umstand, sehr arm zu sein. Doch als Literat habe ich mich immer dann gedemütigt oder beleidigt gefühlt, wenn ich mit den Früchten von Schriftstellern konfrontiert wurde, die sich nicht ausdrücken können und dennoch „angesehen“ sind, deren Sprache nach Pathetik und Dummheit riecht. Und in solchem Moment wünsche ich mir nur eines: nicht ihr Kollege zu sein. Lieber wäre ich Gärtner oder Nachtwächter oder Fotograf. Vielleicht glaube ich naiv, Talent müsse in annähernd gleicher „Höhe über dem Meeresspiegel“ liegen. Im übrigen ist es nicht tragisch, wenn jemand ein schlechter Schriftsteller ist, selbst wenn er „angesehen“ ist, aber tragisch ist es, wenn sich das Schlechte und Banale in der serbischen Literatur als literarisches Modell einnisten.

Gedemütigt bin ich, wenn ich im Fernsehen eine Sitzung des serbischen Bundesrats anschaue mit all jenen geistig beschränkten Geschöpfen, die der ganzen Welt drohen (den Heimatakzent und die aufgeknöpften Hemdkragen bin ich schon gewohnt, aber wenn die Grammatik fehlt, kann das erheiternd wirken!). Gedemütigt bin ich auch, wenn im Programm des Unabhängigen FernsehstudiosB die „Sozialisten“ mit der Opposition die Klingen kreuzen. Denn dann geht es nicht darum, wer mehr oder wer weniger recht hat, sondern es ist ein trauriges Messen zwischen nur Untergeordneten und nur Übergeordneten. Anfangs bin ich immer gerührt von den jämmerlichen Gestalten, die sich „Sozialisten“ nennen (häufig auch mit Doktor- oder Akademikertiteln), obwohl sie eigentlich die große Masse menschlicher Dummheit verkörpern, doch dann fühle ich mich beleidigt, daß solche Typen heute an der Macht sind. Ich bin imstande, in kurzer Zeit Hunderte Botschaften, Konsulate, Vertretungen durchzugehen und mir Empfänge und Bankette anzuschauen, wo die armen Geschöpfe, die mein Land vertreten – zur Schande für ein Volk, das eine mehrere hundert Jahre alte Kultur besitzt –, jenem Gastmahl in Bunuels Film „Viridiana“ entsprungen zu sein scheinen.

Doch der Gipfel der Demütigung war für mich, als unser Präsident Slobodan Milosević nach einer ganzen Reihe von Dummheiten, die er bei dem Treffen mit einer Studentendelegation von der Belgrader Universität von sich gegeben hatte, kürzlich die Erklärung über eine mögliche Konförderation mit Griechenland abgab. Ich denke, nun ist jedem normalen Menschen klar: Der nächste Gesprächspartner unseres Präsidenten (seinetwegen, aber noch mehr unseretwegen) müßte ein Vormund sein. Ohne die möglichen Ergebnisse der heutigen Versammlung zum St.Veitstag in Betracht zu ziehen (ich schreibe diesen Text an einem frühen Sonntag morgen), ist die Hoffnung auf eine friedliche Entflechtung nur gering; doch mir scheint ein Kompromiß möglich (in dem Sinne von: „Der Wolf ist satt, die Schafe sind vollzählig“).

Im ersten Kapitel meines Romans „Das Astragan-Fell“ beschreibe ich mein heimatliches Belgrad als ein ideales Studio, in dem man Filme aller Genres drehen kann. Die Möglichkeiten des Studios „Belgrad“ übersteigen die der römischen Cinecittà und des magischen Hollywood. „Das Astragan-Fell“ habe ich vor drei, vier Jahren geschrieben, doch dabei wußte ich nicht, daß das Studio „Belgrad“ aktuell werden würde. Also schlage ich vor, jenem Serbien, das auch weiterhin von Slobodan Milosević und seinem „harten Kern“ gehalten wird, die Existenz zu ermöglichen, irgendwo auf kleinem Raum. Ich glaube, die Kriegsinsel ist ein ideales Terrain, auf dem in Rekordzeit ein riesiges Studio mit illusionistischen Mechanismen eingerichtet werden kann, als letzten Zufluchtsort for Slobodan Milosević. Für ein solches Unternehmen fänden sich bestimmt Investoren aus aller Welt, denn später könnte man das Gelände der Kriegsinsel vermieten – es wird doch immer verrückte Geister geben, die an der Spitze von Völkern oder Staaten stehen.

Ich denke, unser Präsident (und seine Regierung) liebt Inseln und Archipele sehr. Rechtzeitig haben sie Kapital nach Zypern und andernorts geschafft. Ich meine, die Erfahrung von Disneyland, auf kleinem Raum eine ganze Welt zu erschaffen, könnte von Nutzen sein, ebenso wie die Szenenkombinationen des Fliegenden Zirkus von Monty Python. Auf der Kriegsinsel würden Potemkinsche Dörfer errichtet und illusionistische Mechanismen eingebaut. Jeden Tag müßte dort die Lieblingszeitung des Präsidenten erscheinen (in der Auflage von einigen hundert Exemplaren), und ein besonderer Kanal des Belgrader Fernsehens würde ein Programm ausstrahlen, das in Übereinstimmung mit dem Himmlischen Serbien stünde. Auch ein kleiner Flugplatz (ohne Piste) würde angelegt werden, wo der Präsident ständig ein Flugzeug (ein echtes) zur Verfügung hätte, mit dem er reisen und in konförderative Beziehungen zur ganzen Welt treten könnte. Jedenfalls müßten, sobald er mit seiner Gefolgschaft das Flugzeug besteigt, die illusionistischen Mechanismen in Gang gesetzt werden: Eine große Leinwand Himmel dreht sich um das Flugzeug, und nach Bedarf werden die Gegenden gezeigt, die man gerade überfliegt, bis schließlich das Bühnenbild des Bestimmungsorts erscheint.

Für solche Situationen (die trotzdem selten wären, denn man weiß ja, Slobodan Milosević reist nicht gern, er empfängt lieber Besucher) könnte man die Bühnenbildner des Belgrader Theaters einsetzen, und die Schauspieler könnten den Bedürfnissen des Präsidenten entsprechend die Gestalt der Weltherrscher annehmen. Gesprochen würde ausschließlich Englisch. Damit könnte Präsident Milosević den Staatsmännern der Welt auch weiterhin frei und mit Genugtuung die Meinung sagen, und das wäre sicherlich ein wichtiges Moment in der Therapie.

Auf der Kriegsinsel würden die Einrichtungen gebaut, die der Präsident verlangt, angefangen von der Akademie (nun wäre es möglich, in dessen Nachbarschaft ein McDonald's-Restaurant zu eröffnen) bis hin zum Generalstab. Auch ein Parlament gäbe es, natürlich mit mehreren Parteien, und selbst der Führer der Opposition dürfte nicht fehlen, der dem Präsidenten Milosević besonders lieb ist, wahrscheinlich weil er immer zur rechten Zeit so wunderbar die Terz findet.

Auf der Kriegsinsel sollte auch ein Beobachtungsturm stehen, von dem man an heiteren Tagen die Westgrenze Serbiens entlang der Linie Kawlobag, Kawlovac, Viwovitica sehen könnte. Alles auf der Kriegsinsel wäre Illusion. Einzig echt wäre der Arzt.

PS: Wie man weiß, war in den vergangenen zig Jahren in der Öffentlichkeit einige Male die Verlegung des bestehenden Zoologischen Gartens vom Kalemegdan und die mögliche Einrichtung eines neuen Zoos im Gespräch. „Never say never“, würde Churchill sagen.

Aus dem Serbischen von

Astrid Philippsen