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PSOE – Die Made im spanischen Speck

Vor zehn Jahren kamen die Sozialisten mit einem haushohen Wahlsieg an die Macht/ Heute haben sie alle wichtigen Posten unter Kontrolle/ Erstmals Koalitionsregierung im Gespräch  ■ Aus Madrid Antje Bauer

30.000 Menschen reisten am vergangenen Sonntag nach Madrid, um in der Stierkampfarena Las Ventas Fähnchen zu schwenken und „Felipe, Felipe“ zu rufen. Ein seltenes Ereignis galt es zu begehen: Wann kann eine Partei in einem demokratischen Staat schon zehn Jahre ununterbrochener Regierungsausübung feiern?

Genau zehn Jahre ist es heute her, daß die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) mit ihrem charismatischen Spitzenkandidaten Felipe González bei Parlamentswahlen einen haushohen Sieg erzielte und sich daranmachen konnte, „Spanien so zu verändern, daß nicht einmal seine eigene Mutter es wiedererkennt“, wie die damalige Nummer zwei von Regierung und Partei, Alfonso Guerra, proklamierte.

Veränderungsbedürftig war vieles. In den Regierungsjahren der Zentrumspartei UCD unter Adolfo Suárez, die die ersten beiden Parlamentswahlen gewonnen hatte, waren bereits die Weichen gestellt worden: Spanien besaß bereits eine neue Verfassung, die Regierung machte Ansätze zur Dezentralisierung, Gewerkschaften und KP waren wieder zugelassen und EG- und Nato-Beitritt beantragt worden. Doch die Verwaltung war großteils von den alten frankistischen Getreuen besetzt. Der Putschversuch des Oberstleutnants Tejero im Februar 1981 hatte gezeigt, daß die Militärs auch weiterhin eine Bedrohung der Demokratie darstellten. Die ETA metzelte im Baskenland, und die Wirtschaft war die eines Drittweltlandes.

„Für den Wandel“ – unter diesem Motto waren die Sozialisten angetreten. Und der haushohe Wahlsieg (46 Prozent der Stimmen) stand für die Hoffnung der städtischen Intellektuellen, der Tagelöhner in Andalusien, der Extremadura und der Arbeiter in den Vorstädten auf den Aufbau einer gerechten Gesellschaft, auf eine Aufhebung der Erniedrigung, die die Linken nach der Niederlage im Bürgerkrieg hatten hinnehmen müssen, auf „eine klassenlose, eine sozialistische Gesellschaft“, wie das Parteiprogramm verkündete. Der 28. Oktober 1982 war ein Tag des Aufbruchs, der Hoffnung, des Enthusiasmus.

Die hochgesteckten Erwartungen der Linken wurden bald enttäuscht. Wirtschafts- und Finanzminister Miguel Boyer enteignete zwar wenige Monate nach dem Wahlsieg das Wirtschaftsimperium des Opus-Dei-Unternehmers Ruiz Mateos. Doch die darauffolgende Reprivatisierung der einzelnen Firmen gab Anlaß zu dem Verdacht, daß PSOE-nahe Unternehmer dabei verdienten. Im übrigen folgte Boyers Wirtschaftspolitik neoliberalen Grundsätzen, die von Bankiers und Arbeitgebern mit Erleichterung aufgenommen wurden. Bei den Gewerkschaften hingegen erzeugten sie wachsenden Unmut.

Es waren Jahre wirtschaftlicher Blüte in der Welt. In Spanien überstieg das Wirtschaftswachstum bei weitem den EG-Durchschnitt. Durch die Öffnung nach Europa konnten erstmals die Konsumbedürfnisse befriedigt werden. Die Spanier kauften Autos und Elektrogeräte, gingen auf Auslandsreisen, lebten über ihre Verhältnisse, verschuldeten sich. Von dem Boom profitierten einige Spanier mehr als andere: Unternehmer und Bankiers, die der PSOE nahestanden, nutzten diese Jahre zu beispiellosen Spekulationen und Bankgeschäften. Sie trieben die Bodenpreise in schwindelerregende Höhen und bauten Wirtschaftskolosse auf tönernen Füßen. Vor allem öffneten sie Bestechung und Vetternwirtschaft Tür und Tor. Es entstand eine neue Klasse von PSOE-nahen Politikern und Geschäftsleuten, die Beautiful people, die ihren neuen Reichtum offen zur Schau trugen. Sie wurden zum neuen Modell und verdrängten die alten Vorbilder von Austerität und katholischer Moral. Eines der besten Beispiele für diese neue Sorte Mensch war der damalige Wirtschaftsminister Boyer. Doch die treffendste Charakterisierung dieser Zeit stammt von seinem Nachfolger Carlos Solchaga: „Spanien ist das Land, in dem man am schnellsten viel Geld verdienen kann.“

Der wachsende Unmut gerade auch der sozialistischen Gewerkschaft UGT, die in dieser Wirtschaftspolitik nichts Sozialistisches mehr entdecken konnte und einen größeren Teil des Kuchens für die Arbeitnehmer forderte, entlud sich, nach langen fruchtlosen Konflikten, in dem Generalstreik im Dezember 1988 für eine „soziale Wende“. Die trat zwar nicht ein, dafür vollzog sich die Trennung der bislang vereint marschierenden UGT und PSOE.

Auch in anderen Bereichen erfüllte die PSOE nicht die in sie gesteckten Erwartungen. Im Wahlkampf hatte sie noch den Austritt Spaniens aus der Nato gefordert. Bald danach änderte die Partei ihre Meinung und versicherte, Spanien könne nicht der EG angehören, ohne auch Mitglied der Nato zu sein. Der tiefere Grund hierfür ist vermutlich derselbe, der die sozialistische Regierung in Richtung Dezentralisierung des Landes schreiten ließ: die Angst vor Putschgelüsten der Militärs. Nur ein modernisiertes, in Europa eingebundenes Militär würde seine traditionelle Vokation der inneren Feindbekämpfung vergessen, so lautete das Kalkül. Für alle Fälle war es besser, die Generäle nicht durch allzu große Autonomiezugeständnisse an Basken und Katalanen zu reizen. Im Baskenland wurde die ETA deshalb weiterhin polizeilich und militärisch bekämpft, wurde auf den Polizeirevieren weiterhin gefoltert. Zwar machte die Regierung den Nationalisten weitgehende Zugeständnisse – doch die Mühe, diese zu erringen, hat dafür gesorgt, daß die Autonomiefrage noch heute mit starken Spannungen besetzt ist.

Wurde die Durchdringung der Wirtschaft und der Verwaltung durch PSOE-Leute bald sichtbar, so dauerte es einige Jahre, bis der lange Arm der Partei in den Medien unübersehbar wurde. Die Vorstandsetagen des staatlichen Fernsehens TVE – seit Jahren Sprachrohr der Regierung – wurden Schauplatz parteiinterner Flügelkämpfe. Vor einem Jahr kaufte die regierungsnahe Blindenhilfsorganisation „ONCE“ die kritische Tageszeitung El Independiente auf. Kurz verschwand die Tageszeitung vom Markt. Vor kurzem haben PSOE-nahe Unternehmen den bislang kritischen privaten Fernsehsender Antena 3 übernommen.

Unübersehbar ist auch die Politisierung des Justizapparats durch die PSOE. Die wichtigsten Staatsanwälte werden von der Regierung ernannt, der Generalstaatsanwalt erklärte vor kurzem, er sehe seine Hauptaufgabe darin, über die Ehre der Politiker zu wachen. Die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts wird nach Parteienproporz bestimmt, das Kontrollorgan der Richter wird vom Parlament gewählt (wo die PSOE die Mehrheit hat), und dieses bestimmt die höchsten Richter des Landes. Die Auswirkungen dieser Politisierung wurden in zahlreichen Korruptionsskandalen deutlich, die in den vergangenen beiden Jahren bekannt wurden. Wann immer PSOE-Mitglieder in solche Skandale verwickelt waren, versuchten Staatsanwälte und Richter die Verfahren aus „Mangel an Beweisen“ niederzulegen.

Nach Jahren des Wirtschaftswachstums drohen nun schwere Zeiten. Für das nächste Jahr befürchtet die Regierung 20 Prozent Arbeitslosigkeit, der Sozialhaushalt mußte eingeschränkt werden, an der Krankenversorgung wird gespart, das Arbeitslosengeld ist gerade reduziert worden. Nach einer Umfrage der Tageszeitung El Mundo ist die ewig abgeschlagene rechte „Volkspartei“ (PP) in der Wählersympathie nur noch fünf Prozent von der PSOE entfernt. Zehn Jahre nach der sozialistischen Regierungsübernahme wird zum ersten Mal ernsthaft die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß nach den Parlamentswahlen im nächsten Herbst eine Koalition die Regierung bilden könnte.

Vorerst geht es aber noch um die Wahrung des Besitzstandes. Das zeigte auch das Verhalten mancher Jubelreisender in der Stierkampfarena von Madrid: Sie stritten mit den Parteiverantwortlichen. Aber nicht um die ideologische Linie, sondern um das versprochene belegte Brötchen.

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