ČSFR: Warum Slowaken zu Ausländern werden

■ In Prag beginnt die Suche nach den „geistigen Grundlagen“ des neuen Staates

Prag/Berlin (taz) – „Wir müssen die Welt nicht neu erfinden“, mit diesem Credo hatte die „Bürgerlich-Demokratische Partei“ (ODS) unter Václav Klaus nicht nur die Parlamentswahlen im Juni dieses Jahres gewonnen. Zugleich war es auch zur grundlegenden – und erfolgreichen – Richtlinie für alle Verhandlungen mit der slowakischen Regierung über die Teilung eines Landes geworden, das mit dem Prager Frühling einst versucht hatte, einen neuen, anderen, „dritten Weg“ zu gehen. Unmittelbare Konsequenzen wird die Ablehnung aller Sonderwege nun jedoch für die BürgerInnen der Nachfolgestaaten der ČSFR haben. Da es Klaus gegen die Vorstellungen des slowakischen Premiers Vladimir Meciar gelang, eine doppelte Staatsbürgerschaft zu verhindern, werden vor allem viele SlowakInnen, die aus ökonomischen Gründen in der Tschechischen Republik arbeiten, entweder ab 1.1.93 zu AusländerInnen in ihrer bisherigen Heimat werden – oder die tschechische Staatsbürgerschaft beantragen.

Zwar beteuerten beide Seiten nach ihren Gesprächen im slowakischen Javorina am Montag, daß es keine Reise- und Arbeitsbeschränkungen geben wird, doch angesichts der bisherigen Entwicklung gibt es wenig Hoffnung auf die Einführung weitreichender politischer Rechte für die neuen „AusländerInnen“. Während die slowakische Opposition durch die willkürliche Einschränkung der Pressefreiheit behindert wird, sind die tschechischen Politiker damit beschäftigt, nach den „geistigen Grundlagen“ ihres neuen Staates zu suchen. So fand am Samstag ausgerechnet auf dem Prager Nationalfriedhof eine Veranstaltung statt, bei der viel über die Wiederbelebung der Traditionen von Jan Hus und Karl IV., jedoch weitaus weniger über Demokratie und Rechtsstaat geredet wurde.

Noch regiert in Prag jedoch der Pragmatismus. Für die nun vereinbarte Zollunion sprechen nicht nur die ökonomischen Interessen der beiden Republiken. Gleichzeitig möchte die ODS damit eine weitere Verstimmung der EG verhindern. Denn Klaus dürfte zunächst damit beschäftigt sein, bei dem heutigen Besuch der ostmitteleuropäischen Regierungschefs in London zu erklären, warum die von seiner Partei mitgetragene Föderalregierung sich nicht gegen die Flutung des slowakischen Staustufensystems bei Gabcikovo ausgesprochen hat. Sabine Herre