Zeichen der Annäherung

■ Israelische Autoren zu Gast in Berlin

„Ich würde gerne ein Kabarettprogramm über die Shoah machen. Ich weiß nicht, ob das jemals zu realisieren ist, aber die Zeit dafür ist gekommen.“ Der das sagt, ist Jude. 1950 in Haifa geboren, gehört Oded Peled zur sogenannten „zweiten Generation“ israelischer Autoren, für die der Holocaust nicht erlebte, sondern ererbte Erinnerung ist.

Gemeinsam mit sieben Kollegen war Oded Peled vom 17. bis 21.Oktober im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu Gast. Mit ihm kamen Yaakov Besser, Nurit Kahana, Eyal Megged, Agi Mish'ol, David Schütz und Ronny Somek – Dichter und Prosaisten, die meisten von ihnen zwischen 40 und 50 Jahre alt. Der achte im Bunde, Asher Reich, gehörte gewissermaßen zu den Gastgebern. Als ehemaliger Stipendiat des Berliner DAAD hat er dem Organisator der Veranstaltung, Wolfgang Heyder, beratend zur Seite gestanden.

Das Ziel war, die israelischen und deutschen Kollegen der gleichen Generation ins Gespräch zu bringen sowie sie in Lesungen teilweise erstmalig der deutschen Öffentlichkeit vorzustellen. In jeder anderen nationalen Konstellation unspektakulär, im jüdisch-deutschen Fall jedoch ein Zeichen für Annäherung: Der 1924 geborene Jehuda Amichai schildert in seinem (in der Übersetzung von Ruth Achlama soeben bei Piper erschienenen) autobiographischen Roman „Nicht von jetzt, nicht von hier“, wie ein israelischer Architekt nach Deutschland zurückkehrt, um Rache zu nehmen. Peled, Somek, Schütz und die anderen aber sind nach Berlin gekommen, um Berührungspunkte zu finden. Ihre grundlegende Verständigungsbereitschaft ist das Resultat einer zunehmenden Distanz, keineswegs aber einer Gleichgültigkeit gegenüber der Geschichte ihrer Eltern. Im Gegenteil. Die Auseinandersetzung mit der Shoah ist bei allen ein zentrales Element ihres Schreibens. Wie stark es im jeweiligen Schaffen dominiert, in welcher Form damit umgegangen wird und welche Themen daneben von Bedeutung sind, das hängt natürlich von der individuellen (Familien-)Geschichte ab.

In den Texten der acht Schriftsteller sowie in den Gesprächen mit Berliner Autoren (u.a. Mitch Cohen, Brigitte Oleschinski, Zafer Senocak, Anita Tuckermann, Bernd Wagner und Ernest Wichner) zeigte sich ein breites Spektrum zeitgenössischer israelischer Literatur, von der bislang nur Bruchteile ins Deutsche übersetzt sind. Eine von Wolfgang Heyder herausgegebene und im Babel- Verlag begleitend erschienene Anthologie mit dem Titel „Diese Jahre nahe Jerusalem“ leistet in dieser Hinsicht Pionierarbeit.

Oded Peled hat die Erinnerung an deutsche Konzentrationslager mit der Muttermilch eingesogen – seine Mutter überlebte das KZ Bergen-Belsen. Auf den Unterarm hat er sich ihre Lagernummer tätowiert. Als Haustier hält er sich einen deutschen Schäferhund. Ebenso wie seine Reise nach Deutschland bedeutet all das für ihn, die eigenen Ängste durch Konfrontation zu überwinden. Als einziger der Gruppe wollte sich Peled auch bewußt der Gegenwart rechtsradikaler Jugendlicher aussetzen. Ein mit Skins aus Ost-Berlin vereinbartes Treffen kam aber nicht zustande. Eyal Megged, dessen Vater bereits 1926 nach Palästina kam, interessiert sich nicht für das Thema Rechtsradikalismus. Wenn Juden in Deutschland bedroht sind, sagt er, dann können sie doch nach Israel kommen. Auch politisch sind die beiden konträrer Auffassung: Als Peled erzählt, daß er sich von der israelischen Armee schon vor 20 Jahren losgesagt hat, fällt ihm Megged ins Wort: „Aber diese Armee beschützt auch dich!“

Doch trotz seines israelischen Selbstbewußtseins befaßt sich auch Megged in seinem Roman „Barbarossa“ (der im nächsten Frühjahr erscheinen soll) mit der deutschen Geschichte – wenn auch auf abstrakter Ebene. Friedrich Barbarossa und Hitler faszinieren ihn im negativen Sinne aufgrund ihres Strebens nach totaler Macht; ein Phänomen, dem er in seinem Buch den Wunsch nach totaler Liebe entgegensetzt. Oded Peleds Schreiben dagegen ist von Details des nationalsozialistischen Terrors durchdrungen: Worte wie Waggon oder Transport kann er nicht unvoreingenommen verwenden; nennt er in einer Metapher die Farbe Gelb, so schwingt stets die Konnotation des Judensterns mit. Sein ganzes Schreiben ist der Versuch, sich dem „ererbten inneren Gefängnis“ zu entziehen.

Ronny Somek verkörpert einen ganz anderen Teil israelischer Realität. Vor 40 Jahren in Bagdad geboren und noch als Kleinkind nach Israel gekommen, litt er jahrelang darunter, seines Geburtsortes wegen schief angesehen zu werden. Bagdad war für ihn aber auch der Schauplatz großväterlicher Erzählungen. Der Golfkrieg war für Somek eine doppelt belastende Erfahrung: Bagdad wurde für ihn nicht nur als geographischer Ort und Zentrum arabischer Aggression vernichtet, sondern auch als ideeller Ort seiner Kindheitsträume ausgelöscht.

In Someks Gedichten (die er während des Golfkrieges auch Soldaten in Schutzanzügen vortrug – ein Zeichen dafür, welche Bedeutung die Lyrik in Israel hat) dominieren „urbane Elemente und amerikanische Mythen“, wie Yaakov Besser es ausdrückt: Ben Gurion kommt darin ebenso vor wie Marilyn Monroe, die Gladiolen in den Vorgärten britischer Offiziere, die „immergrünen Straßen von Tel Aviv“, Adlerfedern am Fußgelenk und, mehr oder weniger nüchtern, die Liebe. Warum er sein orientalisches Erbe nicht mit in sein Schreiben hineinnehme, fragt Besser. Bisher habe er das verdrängt, antwortet Somek, aber jetzt wolle er auch diesen Teil seiner Geschichte poetisch gestalten.

Nicht nur im jüdisch-deutschen, sondern auch im jüdisch-arabischen Verhältnis deutet sich also eine Kontaktbereitschaft an. Bisher Verdrängtem über die Literatur Eingang ins Bewußtsein zu verschaffen, ist langfristig eine Grundlage für die gesellschaftliche Stabilisierung Israels, ist eine Möglichkeit, das Volk zu sich selbst kommen zu lassen – ein Volk, das im Orient ebenso wurzelt wie im Okzident und von beiden Seiten immer wieder tödliche Bedrohung erfuhr und noch erfährt.

Das Gespräch zwischen den israelischen und deutschen Schriftstellern – das nicht zuletzt durch die fließende, engagierte und fachkundige Übersetzung von Ruth Melcer-Kahana ermöglicht wurde – war eine allererste Annäherung; im nächsten Jahr will man sich in Israel treffen. Vielleicht werden dann auch Themen aufgegriffen, die sich durch die patriotischen Äußerungen Meggeds geradezu aufdrängten: Was bedeutet die Haltung zum eigenen Staat für das Schreiben? Kurz nach der Verleihung des Friedenspreises an Amos Oz war das Berliner Schriftstellertreffen in jedem Fall ein weiterer Schritt auf dem Weg, Israel als literarische Landschaft zu entdecken. Petra Kohse

Wolfgang Heyer (Hg.): „Diese Jahre nahe Jerusalem. Israel literarisch“. Babel-Verlag, Berlin 1992, 192 Seiten, brosch., 24,80 DM.