Lokaltermin

■ Gerhard Midding sprach mit John Sayles

Gerhard Midding: Was fordert Sie bei einem Stoff wie „City of Hope“ am meisten heraus: die Logistik der Erzählstruktur oder das Thema, die Geschichte und ihre Figuren?

John Sayles: Natürlich vorrangig das Thema und die Figuren. Ich denke, ich bin als Geschichtenerzähler zum Film gekommen. Ich schrieb Romane, lange bevor ich Drehbücher verfaßte und Regie führte. Die Technik interessiert mich nur im Hinblick auf die Frage, wie sie helfen kann, die Geschichte am besten zu erzählen. Es gab nie eine Situation, in der ich mir gesagt habe: Ich habe eine Idee für eine bestimmte Einstellung. In welchem Film könnte ich sie unterbringen? Oder: Ich möchte einmal unbedingt diese Kamerausrüstung ausprobieren. Welcher Film eignet sich dafür?

Ich möchte meine Frage etwas anders formulieren: Reizen Sie manche Geschichten eher ihres Kontextes wegen?

„Matewan“ ist ein gutes Beispiel, um Ihnen darauf zu antworten. Ich habe mich lange mit den Arbeitskämpfen dieser Epoche beschäftigt. Der Film spielt vor dem Hintergrund der „Kohlenkriege“ – coal wars –, die in den zwanziger Jahren in West Virginia und Kentucky ausgetragen wurden. Aus dieser Epoche gibt es eine ganze Menge bemerkens- und erzählenswerter Ereignisse. Es ging nun darum, eine Geschichte zu finden, die die wesentlichen Elemente aller anderen Geschichten zusammenfaßt. Man hätte eine Serie von drei oder mehr Filmen daraus machen können, aber ich wollte Figuren und eine Handlung finden, die sich ideal für einen Zweistundenfilm eigneten. Also hatte auch hier das Thema Vorrang, aber natürlich führte mich die Erzählform zu bestimmten Entscheidungen.

Interessant an der Wahl Ihres Schauplatzes ist, daß dort in den Neunzigern noch all die Kämpfe auszufechten sind, die in den Großstädten schon längst geführt worden sind. Das merkt man besonders angesichts der Probleme, mit denen der schwarze Politiker (Joe Morton) konfrontiert wird.

Ja, denn er lebt in einer Stadt, in der die Schwarzen gerade erst dabei sind, einen Bevölkerungsanteil zu erringen, der es ihnen vielleicht irgendwann einmal ermöglichen wird, einen Bürgermeister aus ihren Reihen zu wählen. Während der ältere Politiker, mit dem er sich auf dem Golfplatz berät, ganz offensichtlich aus einer größeren Stadt wie Atlanta, Newark oder Washington D.C. stammt, in der es bereits schwarze Bürgermeister gab. Der Großteil seiner Probleme resultiert daraus, daß die Schwarzen noch keine wirklich politische Macht besitzen. Es gibt verschiene Arten von Kleinstädten in den USA. Zum einen solche mit einer sehr homogenen Bevölkerung, in der es noch kaum ethnische Gegensätze gibt. Dort sind die Konfliktherde meist das Geld oder der Familienzusammenhalt. Andererseits gibt es auch viele Städte, die entscheidend von diesen Gegensätzen geprägt sind: Gruppen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und mit unterschiedlichem gesellschaftlichem Hintergrund machen sich die wenigen Dinge streitig, die es in einer Kleinstadt zu holen gibt.

Das bringt uns zum Thema Korruption und der überraschenden visuellen Umsetzung dieses Motivs in Ihrem Film: Im Gegensatz etwa zu „Eight Men Out“ haben Sie hier die dunklen Machenschaften in ein sehr helles, sanftes Licht getaucht.

Was wir unbedingt vermeiden wollten, waren die üblichen Stilmittel, die man mit dem film noir verbindet. Die Ausleuchtung sollte nicht zu dunkel sein. Wenn Sie sich

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einige der letzten Filme von Sidney Lumet anschauen – ich denke dabei an zwei ganz hervorragende Filme: „The Verdict“ und „Q&A“ („Tödliche Fragen“) –, gewinnen Sie augenblicklich einen Eindruck der Hoffnungslosigkeit. Die Ausleuchtung signalisiert Ihnen: Wir sind schon in der Hölle! Woran mein Kameramann Bob Richardson und ich arbeiteten, war eine Ausleuchtung, die der Realität der Schauplätze entsprach. Gleichzeitig wollten wir aber auch den Eindruck erwecken, daß da unter der Oberfläche noch ganz andere Dinge vor sich gehen. Wenn man eine schummrige, düstere Szenerie schafft, wird die Szene für den Zuschauer vorhersehbar und langweilig: Ah ja, hier werden schmutzige Geschäfte gemacht! Statt dessen gehen diese Leute in ein helles, freundliches Restaurant, in dem sich alle Welt trifft, einen Drink nimmt oder gut ißt. Und das entspricht genau meiner Erfahrung der Realität in solchen Kleinstädten. Es sind gerade diese beliebten Treffpunkte, an denen dunkle Intrigen gesponnen werden, die fatale Folgen haben können.

Aber tragen Helligkeit und Verwendung des Weichzeichners nicht auch dazu bei, den Erzählfluß zu glätten?

Ich denke ja. Aber dadurch erreiche ich auch noch etwas anderes: Die dunklen Machenschaften, die Korruption erscheinen nicht mehr als etwas, was vom alltäglichen Leben der Figuren abweicht. Der Bürgermeister ist ständig in solche Geschäfte verwickelt, für den ist das gar nichts Besonderes.

Nachdem ich das Drehbuch beendet hatte, kurz bevor ich mit dem Drehen beginnen wollte, passierte mir etwas Interessantes: Ich hegte Zweifel an manchen Situationen und Zuständen in meinem Buch. Vielleicht passierten solche Dinge vor zehn Jahren. Hat sich seitdem nicht einiges verändert? Sollte ich ein paar Recherchen anstellen, damit mein Buch eventuell stimmiger würde?

Während dieser Zeit las ich ausgiebig in unserer Lokalzeitung – wir leben in New Jersey auf der Flußseite, direkt gegenüber von New York City –, und jeden Tag gab es mindestens drei Schlagzeilen, die direkt aus meinem Drehbuch hätten stammen können.

Zum Thema der Korruption gehört auch, daß die Figuren etwas erreichen wollen, ohne sich dafür anzustrengen. In diesem Punkt haben die Figuren, die Vincent Spano in „City of Hope“ und „Baby, it's You“ spielt, sehr viel Ähnlichkeit.

Natürlich, denn in beiden Filmen ist das auch eine Frage der Generationen. Sein Vater mußte in „City of Hope“ sein Leben lang hart arbeiten, um seiner Familie ein bequemes Leben zu ermöglichen. Sicher, er verschafft sich gelegentlich auch Aufträge dadurch, daß er jemanden im Stadtrat besticht. Dennoch, als Bauunternehmer hat er doch eine Ahnung davon, wie man solche Gebäude wirklich konstruieren muß. Seine Kinder profitieren davon mit einem angenehmen, sorglosen Leben in einem netten Haus. Auch in „Baby, it's You“ mußte sich keines der Kinder so anstrengen wie ihre Eltern. Für die Amerikaner stellt sich dabei nun die Frage: Habe ich meine Klassenzugehörigkeit nur geerbt? In den USA liebt man nach wie vor die Geschichten von Leuten, die mit nichts anfangen und sich dann den Weg nach oben erkämpfen. Deshalb hegen die Leute ein starkes Mißtrauen gegenüber einer ererbten Stellung in der Gesellschaft. Die USA sind noch eine junge Nation; ein solcher Gedanke ist für die Amerikaner neu und verstörend.