Blamage vermieden

■ Die Leipziger Staatsanwaltschaft zieht Strafbefehl gegen Stasi-Auflöser zurück

Berlin (taz) – Die Leipziger Staatsanwaltschaft hat überraschend ihre Strafanzeige gegen den Bürgerrechtler Hans-Ulrich Langner zurückgezogen. Der für gestern angesetzte Prozeß fand nicht statt. Langner war beschuldigt worden, „Dienstgeheimnisse“ verraten zu haben, weil er im Sommer 1990 Namen, Decknamen und Arbeitsgebiete von Inoffiziellen Stasi-Mitarbeitern der sächsischen Kirchenleitung mitgeteilt hat.

Das Verfahren gegen Langner, der als Mitglied des Bürgerkomitees an der Auflösung der Leipziger Stasi-Zentrale beteiligt war, ging auf eine Strafanzeige des Theologen Otto-Ernst Drephal zurück. Drephal war den Stasi-Akten zufolge unter dem Decknamen IM „Friedrich“ für die Stasi tätig. Weil Langner die Informationen vor Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen- Gesetzes an den Bischof der Evangelischen Landeskirche, Johannes Hempel, weitergeleitet hatte, verhängte Staatsanwalt Ertelt gegen den Bürgerrechtler einen Strafbefehl von 450 Mark.

Per Fax, hieß es gestern in der Geschäftsstelle des Kreisgerichtes, habe die Staatsanwaltschaft am Vormittag den Strafantrag zurückzogen. Gegenüber der taz erklärte Staatsanwalt Ertelt den Sinneswandel damit, daß seine Behörde nun zu „einer anderen rechtlichen Würdigung“ gekommen sei. Ertelt dementierte, auf Anweisung des sächsischen Justizministeriums gehandelt zu haben.

Hans-Ulrich Langner zufolge erfolgte die Rücknahme des Strafbefehls dennoch auf höhere Weisung. Das Leipziger Kreisgericht habe seinem Rechtsanwalt mitgeteilt, daß der Strafbefehl auf Anweisung des Justizministeriums in Dresden zurückgezogen wurde. Er vermutet im Hintergrund der Entscheidung den Versuch, den Themenkomplex Vergangenheitsbewältigung der Kirche nicht vor Gericht ausbreiten zu müssen. Langner hatte die Kirchenleitung wiederholt beschuldigt, die Stasi-Verstrickungen nicht nachdrücklich aufzuklären. Durch die Entscheidung des Ministeriums, bemerkte Langner trocken, sei es ihm nicht mehr möglich, „halbversteckte Wahrheiten“ klarzustellen. Vor Gericht versuchte gestern unterdessen der Theologe Otto-Ernst Drephal zu verhindern, daß die Leipziger Volkszeitung seinen Namen im Zusammenhang mit IM „Friedrich“ nennen darf. Wolfgang Gast