Nüchternheit, mehr war nicht drin

Die CDU hat einen prekären Parteitag hinter sich gebracht/ Die Parteispitze hat ihre Basis trotz der Wahl Eggerts zum Kohl-Vize im Griff/ Keine Kontroverse über Steuererhöhung  ■ Aus Düsseldorf Matthias Geis

Der Aufstand blieb aus. Mit dem ungeteilten Beifall für den Gastredner Theo Waigel war die letzte Chance für einen spannend- kontroversen Parteitag endgültig verpaßt. Zum offenen Konflikt um die Finanzierung der Einheit wollte es der CSU-Chef nicht kommen lassen. Jovial und diplomatisch fuhr Waigel die unionsinternen Streitpunkte herunter. Die vor dem Parteitag noch scharfe Kontroverse über Kohls Ankündigung für die Steuererhöhung 1995, reduzierte sich am Ende darauf, daß Waigel das Signet „Ultima ratio“ noch etwas dramatischer unterlegte als seine CDU-Kollegen. Doch daß Theo Waigel ernstlich für möglich hielte, Steuererhöhungen durch einen rigiden Sparkurs umgehen zu können, diesen Eindruck vermittelte er den Delegierten nicht. Und auch im Hinblick auf seine jüngste Parole, die nächsten Wahlen würden „rechts“ gewonnen, fand sich Waigel zu einer moderaten Korrektur bereit: „rechts von der Mitte“, lautete gestern die Sprachregelung, mit der der CSU-Vorsitzende die Schwesterpartei zu entschlossenem Handeln in Sachen Asyl und innerer Sicherheit antreiben will. Der Kanzler jedenfalls durfte mit Waigels Düsseldorfer Stippvisite hochzufrieden sein.

Für Helmut Kohl war Waigels mit Spannung erwarteter Auftritt der passende Schlußstein eines im Vorfeld mit Unwägbarkeiten belasteten Parteitages. Denn neben der finanzpolitischen „Stunde der Wahrheit“ – so eine der meistgebrauchten Formulierungen – standen mit Europa und Asyl die beiden zentralen gesellschaftspolitischen Konflikte auf der Tagesordnung. Ein schwieriger Balanceakt für die konservative Volkspartei: Wie aufgeladen ist die Stimmung, wie groß die Bereitschaft, dem Druck von rechts, zumindest mit verbalen Ausfällen nachzugeben, die Koordinaten der Mitte zu verschieben?

Doch in der unaufgeregt-geschäftsmäßigen Art, wie der Parteitag die brisanten Themen über die Bühne brachte, bestätigte sich in erster Linie Kohls unangefochtene Autorität sowie sein offensichtlicher Wunsch, die Ära nicht noch mit einer allzu verspäteten, schwer kalkulierbaren Wende abzuschließen. Mit seiner Grundsatzrede und dem Debattenbeitrag zu Europa gab er die Linie vor, die an keiner Stelle überschritten wurde. Er errichtet atmosphärische Tabuzonen, die eine mit offen ausländerfeindlichen oder nationalistischen Spitzen angereicherte Debatte unmöglich machten. Kohls Gespür für die außenpolitischen Risiken einer Rechtswende, kombiniert mit seinem gänzlich unaufgeregten Naturell, setzten die unangefochtene Debattennorm.

Da dürfte Kohl denn auch die einzige, grobe Unbotmäßigkeit seiner Delegierten – die Wahl des sächsischen Innenministers Heinz Eggert zu seinem Stellvertreter – verkraftet haben.

Doch auch der kleine personalpolitische Eklat hat ja sein Gutes für den innerparteilichen Frieden. Denn während auf dem letzten Parteitag in Dresden der CDU-interne Ost-West-Konflikt voll entbrannte, war davon in Düsseldorf nichts mehr zu spüren.

Der Konflikt zwischen Ost-Reformern und „Blockflöten“ scheint befriedet. Merklich entschärft war diesmal auch der generelle Ost- West-Konflikt. „Gewachsenes Verständnis“, „deutliche Solidarität mit den problemgeladenen neuen Ländern“ lauten die Erklärungsmuster für die neue innerparteiliche Harmonie. Eggert, der Widerständler, der Außenseiter als Kohl-Vize, das hat schon Signalcharakter an die Ost-Verbände. Verschätzt man sich nicht in Eggerts Naturell, wird er es beim Symbolischen nicht belassen wollen. Ein Querkopf, der sich nicht leicht einfügen wird.

Doch was er an Programmatischem dem Parteitag unterbreitete, deutet auf eine gar nicht so sperrige Ost-West-Synthese hin. Warum der Mann, dessen Popularität mit der Veröffentlichung seiner brutalen Verfolgungen durch die Stasi begann, die innere Sicherheit als seine Hauptaufgabe begreift, warum er sich den Delegierten ausgerechnet als Befürworter des Lauschangriffs empfehlen muß, bleibt einigermaßen unerfindlich.

Seine Rede zur inneren Sicherheit handelt vom „erschreckenden Ausmaß“ der „von Ausländern begangenen Straftaten“ – kein Wort des sächsischen Innenministers etwa zu Cottbus-Sachsendorf, wo im September vor dem Asylbewerberheim vier Nächte lang die Volkswut tobte.

In dieser Hinsicht bietet die Union nach wie vor nur die verbale Distanzierung und den von Innenminister Seiters begründeten Entschluß, mit der Grundgesetzänderung „die drastische Milderung des Problems“ herbeizuführen.

Die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John hält die – einzige – Gegenrede. Sie ortet das Politikversagen in den eigenen Reihen. Die Union selbst habe mit der Parole „kein Einwanderungsland“ das Problem der Zuwanderung über Jahre einfach ignoriert. Sie sei mitverantwortlich für die jetzt entstandene Situation. „Alle, die kommen“, kämpft Barbara John gegen die Stimmung, „haben unser Mitgefühl verdient, nicht unsere Verachtung.“ Auch solche Sätze finden in Düsseldorf Applaus.

„Drei große Tage für die CDU, drei große Tage für Deutschland“, versucht sich Norbert Blüm an einer Bewertung. Die Emphase wirkt gezwungen. Die CDU hat einen prekären Parteitag über die Bühne gebracht, sie hat sich auf dem Weg des permanenten Offenbarungseids wieder ein Stück weiter bewegt, sie hat einer nationalen Unterminierung des europäischen Einigungsprozesses nicht nachgegeben und die polarisierte Asyldebatte nicht weiter angeheizt. Am Ende dankt Kohl den Delegierten für die „große Nüchternheit“. Mehr war nicht drin.