Wie lädt man einen "Mann ohne Briefkasten" vor Gericht?

■ Episoden aus der norddeutschen Rechtswirklichkeit: Schwierigkeiten mit der Räumungsklage gegen einen aggressiven Mitbewohner

: Schwierigkeiten mit der Räumungsklage gegen einen aggressiven Mitbewohner

Frau K. lebt mit ihrem 4jährigen Sohn in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung. Sie war vor einiger Zeit aus der DDR nach Hamburg übergesiedelt. Nach einem Jahr zog R., der Vater des Kindes, nach. Frau K. läßt ihn bei sich wohnen. Sie arbeitet; er nicht, ist tagsüber zu Hause und nachts unterwegs, meist auf dem Kiez. An der Miete und sonstigen Kosten beteiligt er sich nicht. Dies Leben im goldenen Westen bekommt ihm aber nicht, er wird zunehmend unzufrieden, launisch, aggressiv.

In der engen Wohnung kommt es zu Auseinandersetzungen, R. wird unter Einfluß von Alkohol handgreiflich, schlägt die Frau und auch das Kind. Frau K. will ihn nun aus der Wohnung haben, fordert ihn auf, sich so schnell wie möglich eine andere Bleibe zu suchen und dann ihre Wohnung zu verlassen. R. liest daraufhin die Zeitung, Abteilung Wohnungsmarkt. Und fühlt sich ungerecht behandelt. Eine Wohnung findet er nicht.

Er sucht wieder Streit. Er ist sauer, weil ihn „seine“ Frau aus „seiner“ Wohnung heraussetzen will. Er schlägt härter zu. Und droht ihr, sie umzubringen. Sie schreit, ruft um Hilfe. Nachbarn holen die Polizei. In deren Gegenwart packt sie die nötigsten Sachen und verläßt mit dem Kinde die Wohnung, die sie keine Minute mehr mit dem Mann teilen will. Sie flieht zu ihrer Mutter.

Jetzt ist sie ihre Wohnung los. Der Mietvertrag lautet aber allein auf sie. Mit diesem guten Recht geht sie zum Amtsgericht und beantragt beim Rechtspfleger eine einstweilige Verfügung, daß R. ihre Wohnung verlassen soll. Das Gericht erläßt diesen Beschluß aber nicht, sondern lädt zur mündlichen Verhandlung, eine Woche später.

Die junge Amtsrichterin verhandelt mit den Parteien über zwei Stunden lang. R. — voll im Schwung seiner Männlichkeit — versucht sehr beredt, der Richterin gegenüber sein Verhalten zu rechtfertigen. Mit der Rechtfertigung gibt er zu, Frau K. geschlagen zu haben, das wird festgehalten. Rechtlich ist jetzt klar, daß R. aus der Wohnung raus muß. Aber wann, wie, wohin?

R. jammert, wie schwierig es doch in Hamburg sei, eine Wohnung zu finden. Zum Sozialamt, zur Wohnungsvermittlung will er aber

1nicht gehen, das empfindet er als erniedrigend. Daraufhin drängt die Richterin beide Parteien auf die Einigung über eine Frist, die dem R. zum Besorgen einer eigenen Wohnung zugestanden werden sollte. Frau K. läßt sich auf diese Verhand-

lung auch ein, bis sie erfährt, daß ihr dabei zugemutet würde, in der Zwischenzeit mit R. wieder in derselben Wohnung zu leben, nur halt in getrennten Zimmern. Bei ihrer Mutter kann die Frau nicht auf Dauer wohnen, die Wohnung ist 90 Minuten Autofahrt von ihrer Arbeitsstelle entfernt, und sie hat kein Auto. Da ist die Vergleichsverhandlung zuende, sie stellt den Antrag auf sofortige Räumung.

Das Urteil gibt R. dann — unter Abwägung der Grundrechte auf Unverletzlichkeit der Wohnung und auf körperliche Unversehrtheit — eine Frist von 3 Wochen, sich um eine andere Wohnung zu kümmern, dann muß er raus. Vorher kann Frau K. aber noch eine Woche in die Wohnung, in dieser Zeit will R. zu seiner Mutter reisen.

Diese richterlichen Skrupel, jemanden auf die Straße zu setzen, werden allerdings gründlich mißverstanden, und zwar als Freibrief, es sich einer verbleibenden Zeit „richtig gemütlich“ zu machen.

Frau K. hat jetzt genug. Sie beschließt, den Mann — entgegen dem Urteil — überhaupt nicht mehr in ihre Wohnung hereinzulassen und tauscht die Schlösser aus. Sie geht wieder zum Gericht und beantragt Verkürzung der Räumungsfrist.

Zu der mündlichen Verhandlung darüber kann R. nun aber nicht geladen werden, weil an dem Briefkasten der umkämpften Wohnung sein Name nicht mehr steht. Ohne ordnungsgemäße Ladung gibt's aber keinen Termin, ohne Termin dann auch keine Entscheidung.

Frau K.s Anwalt gelingt es jedoch, telefonisch an die Unverschämtheit des Gegners zu appellieren. Der findet das Recht bis jetzt auf seiner Seite, sagt zu, auch

1ohne Ladung zu kommen. Und tut es auch.

R. wird überzeugt, daß er nun endgültig raus muß. Verhandelt wird nur noch, wie er seine Sachen rausholt; seitdem war von ihm nichts mehr zu sehen. justus