Fast wie Windsurfen vor Hawaii

■ Snowboard: Ein Plädoyer für das Brett, das die Skier in der Kellerecke verschwinden läßt

Ein Plädoyer für das Brett, das die Skier in der Kellerecke verschwinden läßt

„Snowboarding is life, the rest is detail.“ Dieser Slogan eines großen Bekleidungsherstellers bringt die Philosophie der Hardcore-Snowboarder auf den Punkt. Irgendwas muß ja dran sein an diesem Gerät, das immer mehr eingefleischte Wintersportler dazu verführt, ihre Skier in die letzte Kellerecke zu verbannen und vollständig aufs Sur-

fen im Schnee umzusteigen.

Auf jeden Fall ist es sehr viel schneller und leichter erlernbar als

1Skilaufen. Totale Snowboard-Anfänger haben nach nur wenigen Stunden die ersten Erfolgserlebnisse, die gar nicht erst ans Aufhören denken lassen. Das extreme Arbeiten mit Fußsteuerung und gleichzeitigem Gegendrehen des Oberkörpers erinnert stark ans Wellenreiten. Sprünge in der „Halfpipe“ und gewagte Pisten- Tricks wecken Gefühle wie beim Skateboarding, und ist das Brett im Tiefschnee einmal ins Gleiten ge-

1kommen, denkt man sofort ans Windsurfen vor Hawaii. Es ist halt völlig anders als das Fahren auf zwei Brettern, man muß es erst fühlen, um es zu begreifen.

Entstanden ist es, wie soll es auch anders sein, vor etwa zwanzig Jahren in den USA. Jake Burton, selbst begeisterter Skiläufer und Wellenreiter, nahm sich die Konstruktion der Alpin-Skier als Vorbild. Der etwas abgewandelten Form eines Wellenbrettes verpaßte er einen gleitfähigen Belag, und um die ganze Konstruktion zog er schließlich eine Stahlkante. Fertig war das erste Snowboard.

Die Schneesurf-Gemeinde läßt sich im wesentlichen in zwei Gruppen teilen. Da sind zum einen die trick-orientierten Freestyler, die nichts lieber tun, als in einer künstlich angelegten Röhre, der Halfpipe, ihre Manöver auszuprobieren. Die Schwünge werden durch Flachlegen des flexiblen Freestyle- Boards auf die Piste und gleichzeitiges Drehen des Oberkörpers ausgelöst. Das krasse Gegenstück dazu sind die steifen, alpinen Race-

Boards, die, wie der Name schon sagt, dafür gemacht wurden, auf harten, präparierten Pisten in mehr oder weniger langen Schwüngen oder auch einfach im Schuß herunterzuheizen. Der Schwung wird durch die direkte Kraftübertragung auf die Boardkante eingeleitet.

Aber es gibt ja nicht nur Extremisten, die Snowboard-Tüftler haben natürlich auch an die ständig zunehmende Gruppe der Einsteiger gedacht und an diejenigen, die das Snowboarden immer nur neben dem Skifahren betreiben möchten. Die sogenannten Allround-Boards, die es bisher gab, gingen immer, je nach Geschmack, etwas mehr in die Freestyle- oder in die alpine Richtung, aber ein Board für alle Fälle, das gab es bisher noch nicht. Zu Beginn der neuen Saison 92/93 haben die Snowboard-Hersteller einen Brett-Typ auf den Markt gebracht, der an Vielseitigkeit kaum noch zu überbieten ist. Das Zauberwort lautet „Freeriding“. Ob Pulver- oder Tiefschnee, Buckel- oder harte Piste, die neue Generation schreckt vor nichts zurück. Von den extremen Halfpipe- und Race-Boards einmal abgesehen, gibt es zwar auch wieder, ähnlich den früheren Allround-Boards, die Kategorien „Freeriding-Freestyle“ und „Freeriding-Alpin“, die Grenzen sind allerdings sehr fließend geworden. Die Snowboards der neuen Generation lassen also kaum noch Wünsche offen. Vielseitigkeit ist angesagt, und die Möglichkeit, sich „free“ zu fühlen, entspricht den Herstellerversprechungen. Also, nichts wie raus in den Schnee und auf die Piste. Egal, ob Turns oder Fakies, Heizen über spiegelglatte Pisten oder berauschende Tiefschneeabfahrten, am Ende steht immer der Wahnsinn. Uwe Wesemann