"Keine Stimmung für Schnörkel"

■ Franz Josef Degenhardt ist mit seinem Album "Am Ende wieder leben" unterwegs

INTERVIEW

„Keine Stimmung für Schnörkel“

Franz Josef Degenhardt ist mit seinem Album „Am Ende wieder leben“ unterwegs

Seit fast dreißig Jahren ein Mann für ätzende Geißelung gesellschaftlicher Mißstände und spießiger Befindlichkeiten: Liedermacher Franz Josef Degenhardt, 60, tourt durch die kälter werdende Republik.

Mit dem Album „Am Ende wieder leben“ kehren Sie zum klassischen Liedermacherhandwerk, also musikalisch zu den eigenen Wurzeln zurück?

Als ich das Album aufnahm, Ende 1991, hatte ich eine Stimmung, in der ich alles Beiwerk, Verschnörkelung - und das bewirkt ja häufig ein Lied umrankende Musik mehrerer Instrumente - nicht mochte, für ablenkend, für zu pompös hielt. Diese Stimmung hält übrigens an. Zwei Gitarren, meine und die von Kai Degenhardt, begleiten meinen Gesang auch auf der Tour jetzt und im wesentlichen auch auf dem nächsten Album mit dem vorläufigen Titel „Nokturn“.

In einer Zeile heißt es „Nein, ich sing nicht mehr die Lieder, daß es morgen wieder so wird,...“ - sind Sie melancholisch geworden?

Ich bin älter, die Welt ist älter. Das Morgen wird immer unsicherer. So bin ich weniger zukunftsfroh, melancholisch auch, aber das war ich immer, das ist eine Eigenart und kippt jetzt öfter um in Sarkasmus. Wo nicht in einem Land, in dem wieder alles das hochkommt, das viele mal für immer verschwunden wähnten: Pogrome aus Rassen- und Fremdenhaß gemischt mit Gemütlichkeit, Zerhämmern, Zerschlagen, Verbrennen bei volkstümlicher Musik und zustimmendem Grinsen der Regisseure; kurz: der Faschismus nach spezieller deutscher Art.

Was bewegt Sie im Herbst 1992? Hat sich ihre politische Sichtweise in den vergangenen Jahren verändert?

Mich bewegt heutzutage das, was alle bewegt, die eine Empfindlichkeit haben für das Ungeheuerliche, das wieder in diesem Land passieren kann; obwohl ich ja nun immer wußte, daß der Schoß furchtbar blieb und bleibt, aus dem das kroch und kriecht. Daß allerdings das Krisenmanagement der Marktwirtschaft wieder mit den alten Haltungen, Kostümen, Signalen, der Brutalität des Archaischen daherkommt, das hätte ich doch nicht so für möglich gehalten. Ich hatte mehr auf die US-Variante getippt. Faschismus in diesem bunten „I-wanna-be-free“-Kostüm unten, Sozialdarwinismus nach bürgerlich anständiger Art andererseits. Meine politische Sichtweise hat sich nicht verändert, wird sich nicht verändern. Blickwinkel haben

1sich verschoben. Einiges ist für mich mehr belichtet als früher, anderes unwichtiger geworden. Im übrigen folge ich meinem Motto und dem meiner Familie: „in princi-

1piis obsta!“. Das galt in den 30er Jahren, den 40er Jahren und in den folgenden Jahrzehnten und heute genauso. Fragen: Julia Kossmann

6.11., Fabrik, 21 Uhr