Durchs Dröhnland
: Zur rechten Zeit am richtigen Ort

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der kommenden Woche

Ach, wie sie da so steht, nur sie und ihr Akkordeon, ganz verloren und verlassen, da schmelzen die Herzen der Männer, und ein ganzer Saal voller Kerle entdeckt längst verschüttete Beschützerinstinkte unter den schwarzgefärbten Zotteln. Früher war das noch schlimmer, da hat Santrra das wirklich nicht gespielt, da sah jeder Auftritt aus, als stünde sie gerade das zweite Mal auf einer Bühne und das erste Mal war beim Gedichtevortragen auf der Weihnachtsfeier ihrer Eltern. Inzwischen hat sie gelernt, sich vor Publikum zu benehmen und ist gewissermaßen routiniert geworden, was am Effekt auf das andere Geschlecht wenig ändert. Verglichen wird sie immer noch gerne mit Marlene Dietrich, ganz einfach deswegen, weil in Deutschland ansonsten eine Chanson- Tradition fehlt. Zarah Leander würde mindestens genauso gut passen. Santrra ist halt Santrra, eine, die eigene Texte zum mehr schlecht als recht gespielten Akkordeon vorträgt, eine von diesen schwarz blühenden Blumen, die so nur im alten, eingemauerten West-Berlin entstehen konnten. Das soll jetzt kein Qualitätsmerkmal sein, aber ein wenig traurig macht ist es mich schon.

Am 30.10. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Unter dem Motto „Wir fahren gegen Nazis“ spielen unter anderem die Bollock Brothers, in letzter Zeit ständig besoffene Punk- Heroen, Loaded aus Berlin-West, Big Savod and the Deep Manko aus Berlin-Ost und The Bates. Die haben vor wenigen Jahren noch das K.O.B. beehrt und ritten vorzugsweise auf ihrer Herkunft aus dem Zonenrandgebiet herum, von wegen der Provinz, wo Rock'n'Roll ganz schlicht gelebt und getrunken wird. Inzwischen protzen sie auf ihrem Info damit, daß sie von WOM präsentiert werden. Schön für die Jungs, aber man muß ihnen zugute halten, daß sie trotz des zwischenzeitlichen und sicher schmerzhaften Verlustes der Zonenrandgebietsinspiration immer noch sehr schöne, vor allem sehr eingängige Popsongs produzieren, die zwar über die Maßen krachig sind, aber trotzdem jedermann zum Trällern verleiten. Zudem haben die Bates, die sich übrigens nach „Psycho“ benannten, geradezu kleptomanische Eigenschaften. Bei jedem Stück fällt einem eine Lastwagenladung Leute ein, von denen der und der Ton geklaut sein könnte, ohne daß man ihnen ihre Dreistigkeit übelnehmen könnte.

Mit vielen anderen ab 20 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Einen obskuren Nebeneffekt hat die BID jedes Jahr. So manifestiert sich die Kritik an der Bandauswahl in parallel oder kurz danach stattfindenden Gegen-, Ergänzungs- oder Sonstwie-Veranstaltungen. Die Insel läßt vier deutsche Bands spielen und nennt das „Post-BID-Festival“ oder auch „Deutschgeräusch '92“ oder auch „Gefühl & Härte“. Mit dabei sind House of Suffering aus Köln, The Last, Die Seuche und Iron Henning, alle aus Berlin.

Am 31.10. um 22 Uhr auf der Insel

Er spielt eine kranke Gitarre, und seine Musik ist einfach auffällig, gerade weil sie so unscheinbar ist, gerade weil Keziah Jones einfach nur einen relativ altmodischen Funk spielt, einen rüden Straßen-Funk, den wahrscheinlich 25.394 Bands zwischen London und Los Angeles auch spielen. Jones hatte halt das Glück, daß er in der Portobello Road von seinem Manager entdeckt wurde. Man sieht also wieder einmal, daß es weniger auf die Musik ankommt, die einer macht, sondern mehr darauf, daß er sich zur rechten Zeit am richtigen Ort befindet. Und wer nicht extra nach London fahren will, ist hier auch gut bedient.

Am 1.11. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg

Conny Bauer mag ein Allerweltsname sein, aber Conny Bauer ist nicht irgendwer. Der Mann hat nicht nur mit jedem und jeder in der aktiven Jazz-Szene der DDR zusammengespielt, er hat sie selbst mit seinem haltlosen, für den verkrusteten Kulturbetrieb manchmal gar zu avantgardistischen Posaunenstil mitbestimmt und vorwärtsgetrieben. Vor allem solo tut er seinem Instrument keinen Zwang an.

Am 2.11. um 22 Uhr im Franz, Schönhauser Allee 36-39, 1058

Ich wollte es nur kurz erwähnen: sowohl David Crosby und Stephen Stills als auch Graham Nash sind noch am Leben.

Ohne Neil Young am 2.11. um 20 Uhr im Friedrichstadt-Palast, Friedrichstraße 107, Mitte

Die absoluten Lieblinge der Musikpresse, der intelligente weiße HipHop. Weil die Stereo MC's trotzdem wissen, wo die Wurzen liegen, wird auf der neuen Platte „Connected“ auch mal gesungen, nicht mehr nur gerappt. Vor wenigen Monaten waren sie hier auf Club-Tour, der Erfolg hat sie eingeholt. So sind sie auch das seltene Beispiel dafür, daß man nur oft genug über irgendwas schreiben muß, damit es die Leute schließlich auch kaufen.

Am 3.11. um 20 Uhr im Metropol, Nollendorfplatz, Schöneberg

Das Problem mit Soul war ja, daß er irgendwann einmal stehengeblieben war. Die Helden wurden zwar immer älter, aber nicht notwendigerweise besser, die Sounds wurden entweder immer wieder reproduziert oder so gnadenlos den modernen Entwicklungen schwarzer Musik angeglichen, daß man gleich auf das jüngere Original zurückgreifen konnte. Erst in den letzten beiden Jahren entstanden in England diverse Acts, die neue technische Errungenschaften adaptierten, ohne dabei das oft zitierte Soul- Feeling aufzugeben. Omar war neben Galliano oder Gang Starr einer der erfolgreichsten Vertreter. Er kann von der triefenden Ballade bis zum knallig-bunten Disco-Song alles, was man entfernt mit Soul in Zusammenhang bringen kann, versucht aber auch dezent afrikanische Rhythmen einzubauen. Das wichtigste bei einem Soul-Crooner ist aber natürlich die Stimme, und die ist fast genauso weich wie die von Al Green, aber Omars Bauch ist noch ein gutes Stück kleiner.

Am 3.11. um 20.30 Uhr im Loft

Wer auf der BID notgedrungen einiges verpaßt hat, kann zumindest die Holländer von Gore nachholen. Die fingen schon 1985, als andere noch nicht mal dran dachten, damit an, den gerade im Entstehen begriffenen Trash- und Speed-Metal konsequent als Jazz zu spielen. Nur Instrumentals: ein Thema wird aufgenommen, zerlegt und wieder zusammengesetzt, zerschnüselt und verfieselt. Vier Jahre später lösten sie sich auf, der damalige Schlagzeuger spielt inzwischen bei Caspar Brötzmann. Der Bassist reformierte im letzten Jahr Gore, nachdem er seinen Theatermusikantenjob geschmissen hatte. Zum Auftakt mußte es natürlich eine Doppel-CD werden und wer die frühen Sachen von Metallica für anspruchsvoll hält, sollte sich unbedingt „Lifelong Deadline“ anhören oder eben hingehen.

Am 4.11. um 21 Uhr im Huxley's Jr. Thomas Winkler