Mit Jean Marais im Sand

■ Udo Kier in West3: ein Selbstdarsteller in der Nebenrolle

Udo Kier? Wer ist das? Zwar hat man den Namen schon einmal gehört, aber so richtig einordnen kann ihn längst nicht jeder. Spätestens bei der Erwähnung von Andy Warhols „Frankenstein“ und „Dracula“ jedoch kommt der Aha- Effekt: Ach ja, der...

Der in Köln geborene Schauspieler ist ein internationaler Star, einer, der es sich jedoch leistet, im eigenen Land nicht mit seinem Ruhm zu hausieren. Seine Karriere begann mit einer Lehre, „Großhandelskaufmann in der Werkzeugbranche, ja, ich habe nach meiner Lehre sogar drei Jahre in dem Beruf gearbeitet, aber 380 Mark im Monat waren mir einfach zu wenig. Ich bin ohne Vater aufgewachsen, unehelich geboren noch dazu, und meine Mutter wollte, daß ich es besser hätte, deswegen dieser bürgerliche Anfang.“ Später jobbte er bei Ford am Fließband, sparte das sauer verdiente Geld, „nebenbei habe ich Models bei der Herrenmodemesse vertreten – dabei war ich beileibe kein Model. Und im Sommer bin ich dann mal nach Cannes gefahren.“

Aus Cannes gibt es Aufnahmen von Kier mit Jean Marais am Strand, Postkarten von von Bohlen und Halbach, aus denen die Verehrung der Prominenz für den gutaussehenden Jüngling spricht. „Irgendwelche Päderasten sagten mir: ,Jetzt fotografieren wir dich.‘ Das ist doch ganz klar, wenn einem auf der Straße Männlein wie Weiblein nachschauen, daß man sich seiner Wirkung bewußt wird.“

Gehen wir ruhig einmal davon aus, daß Kier nach diesem Südfrankreich-Trip eine Perspektive für sein Leben gewonnen hatte. Der 19jährige zog nach London, ging dort zur Schule, und dann hörte er davon, daß ein Filmregisseur einen jungen Mann für die Rolle eines Gigolos suchte. „Das war mein erster Film ,Road To St. Tropez‘. Ich hatte ja keine Ahnung von Film, für mich war das ja damals unheimlich aufregend und neu. Die Kamera vor allem flößte mir großen Respekt ein. Ich war im Wasser, sollte mit feuchten Haaren rauskommen, ich sah aber nicht, wo dieses Ding stand und suchte die ganze Zeit wie ein Kurzsichtiger. Man hatte mit Teleobjektiv gefilmt. Mein Ausdruck wirkte offenbar unheimlich intensiv, ich suchte ja nur die blöde Kamera, aber prompt schrieben alle Kritiker, ich sei das neue Gesicht. Und vom ersten Moment an, in dem ich Schauspieler war, wußte ich, daß ich das immer sein wollte und immer sein würde.“

1969 ging es weiter mit „Hexen bis aufs Blut gequält“. Dann kam die Zusammenarbeit mit Warhol- Regisseur Paul Morissey, der Kier mit seinen Filmen „Carne per Frankenstein“ und „Dracula vuole vivere“ zum Weltstar machte. „Ich saß im Flieger, war in einer eitlen Phase und zeigte dem Mann auf dem Sitz neben mir Fotos, erzählte, ich sei Schauspieler, wußte gar nicht, wer der Typ war. Ich gab ihm meine Telefonnummer, der Typ schreibt sie in seinen Paß und ich denke, was ist denn jetzt los. ,Ich bin Morissey‘, sagte er zu mir, ,unterwegs nach München zu einer Pressekonferenz.‘ Und bei der Pressekonferenz verkündet er dann ohne mein Zutun, er drehe einen neuen Film, und die Hauptrolle spiele Udo Kier.“ In den siebziger Jahren drehte Kier dann mit van Ackeren, Argento, Fassbinder.

1980 trat Kier in „Narcicz es Psyche“ des mittlerweile verstorbenen ungarischen Regisseurs Gabór Body auf, ein Film, der fast nie gezeigt wurde, der aber als einer der filmischen Höhepunkte der letzten 30 Jahre gelten darf. Mit Monika Treut und Elfi Mikesch machte er „Verführung: Die grausame Frau“, 1987 dann begann seine Zusammenarbeit mit dem dänischen Regisseur Lars von Trier. In Triers letztem Film „Europa“ spielt Kier den „unglücklich veranlagten“ Sohn einer deutschen Industriellenfamilie. Ähnlichkeiten mit einer Figur aus Kiers Jugend, Krupp jun., sind beabsichtigt.

1991 hatte Kier einen internationalen Erfolg: in Gus van Sants „My Own Private Idaho“. Dort ist er Hans, eine Art Lebemann, der sich zweier umherziehender Jungen (River Phoenix, Keanu Reeves) aus durchaus eigennützigen Gründen annimmt. Wird Udo Kier besetzt, weil er der leicht dekadent oder übergeschnappt wirkende Udo Kier ist? „Meine Regisseure haben vielleicht diesen Eindruck gewonnen, ich habe sie ja alle erst privat kennengelernt. Ich gelte natürlich als exzentrisch, eitel, mysteriös. Ich hingegen lehne es ab, Star zu sein. Deswegen kann ich mir alles erlauben. Sicher, ich arbeite viel im Ausland, dadurch wird man ja hierzulande erst zum Star. Aber was soll's? Ich stehe entweder an erster oder an letzter Stelle im Vorspann. Lieber spiele ich eine kleine Gastrolle, die mir Spaß macht, als eine sogenannte Hauptrolle. Die Nebenrollen bezeichnet man im Englischen übrigens als supporting roles, das ist viel besser: die unterstützende Rolle. Diese Rollen sind mir wesentlich lieber.“

Jetzt hat Kier gerade einen Film mit Michael J. Fox abgedreht. „Da mußte ich zum ersten Mal durch ein casting gehen, das ist das Deprimierendste für einen Schauspieler, was man sich denken kann. Genommen wurde ich schließlich, weil mein Akzent die Amerikaner so fasziniert, ich gebe mir keine Mühe, den zu verbergen.“

Bei Christoph Schlingensief trat Kier in „Das deutsche Kettensägenmassaker“ auf, dem Film, der böse, aber absolut treffend die Stimmung der Deutschen zur Vereinigung der beiden Staaten verdeutlicht. „Ich bewege mich in einem Beziehungsdreieck zwischen meinen ,Hausregisseuren‘ Schlingensief, van Sant und von Trier. Jetzt haben wir ,Terror 2000‘ gedreht, einen Film von Schlingensief über die Roesler/Degowski- Affäre, also das mittlerweile schon mystisch gewordene Gladbecker Geiseldrama. Peter Kern mimt einen Kommissar, ich bin in dem Film ein falscher Priester, der die Ausländer quält, der die Autobahnkirche leitet, ich gehe Thai- Mädchen an die Unterhose... Das wird ganz sicher ein Skandal.“ „Terror 2000“ hat in diesen Tagen Premiere. Michael Höfner/Axel Schock

Diesen Text entnahmen wir gekürzt dem schwulen Magazin „magnus“. Die Kier-Reihe in West3 beginnt heute mit Lars van Triers „Medea“ (22.35 Uhr). Am 4.11. läuft um 22.45 Uhr Christoph Schlingensiefs „Last Trip to Harrisburg“ mit dem Kier-Porträt „Tod eines Weltstars“ im Anschluß. Abgeschlossen wird die Reihe mit dem Klassiker „Narziß und Psyche“ am 6.11. um 22.30 Uhr.