Einsame Frau, in Einzelteilen serviert

„Bleiche weiße Leiche“: Elletra da Salvos Hommage an Valeska Gert  ■ Von Arnd Wesemann

Grufties und Gothics, die bleich geschminkte Jugend, die sich vor lauter Jim-Morrison-Todesseligkeit in schwarze Kaftans und Kilts zu kleiden beliebt, hat ein Vorbild, das ihre eigene Großmutter gewesen sein könnte: Valeska Gert, Cineasten bekannt durch „Die freudlose Gasse“ und „Die Dreigroschenoper“ von Pabst, durch „Nana“ von Jean Renoir, durch „Julia und die Geister“ von Fellini und durch etliche Filme von Volker Schlöndorff. Nachhaltig bekannt geworden durch die Tanzgeschichte als radikale Verächterin des Expressionismus und der Heiligkeiten einer Isadora Duncan oder Mary Wigman, hielt diesen Valeska Gert den „Grotesktanz“ entgegen, die Selbstverausgabung gegen idealische Harmonien, den Rausch gegen das Bauhaus und gegen die damals so zahlreich gewordenen neuen Weltordnungen.

„War ich im Zustand der Selbsthypnose, konnte ich mit meinem Körper machen, was ich wollte, die tollsten Schritte, die ungewöhnlichsten Bewegungen, denn mein Körper ist von Natur aus weich und geschmeidig und macht, was ich will. Da konnte ich tanzen, als ob ich zehn Jahre Ballettunterricht gehabt hätte, war aber der Trancezustand nicht stark genug, blieben die Tänze matt. Ich tanzte immer mit geschlossenen Augen. Das machte mich den Spießern verdächtig. ,Sie ist bestimmt rauschgiftsüchtig‘, sagten sie. Ach, wie irrten sie. Mein Rausch kommt aus Kraft, Gesundheit und großer Lebenslust.“ „Nur so zum Spaß, nur so zum Spiel“ hieß 1878 Volker Schlöndorffs Filmporträt über Valeska Gert, die Femme fatale der zwanziger Jahre in Berlin, die nach New York emigrierte und dort unter anderem mit dem damals noch mittellosen Tennessee Williams als „Künstler-Kellner“ die „Beggar's Bar“ betrieb. Kurz nach Schlöndorffs Dreharbeiten 1978 starb Veleska Gert in ihrem Kabarett „Ziegenstall“ in Kampen auf Sylt.

Valeska Gert liebte das Kabarett, nicht als Politwitzbühne, sondern als radikalen Freiraum. Ihre Aufmüpfigkeit in Hollywood trieb sie in der Arme New Yorks, wo sie unter schauerlichen Bedingungen mit unerhörter Kraft das Zentrum der Ostküsten-Boheme wurde. Abends ging man in die „Beggar's Bar“, wo Valeska verrückte Tänze schwang und die Dramatiker den Whisky ausschenkten: „Daß ich meine Kraft vergeudete, war allen schnuppe. Und manchmal, wenn ich auf's Podium sprang, den Kopf zurückwarf und zum großen Schwung ansetzte, dann schob sich Eddy an mich ran und flüsterte: ,Valeska, die Salami geht aus.‘ Ich mußte während meiner Vorstellung an die Salami denken, konnte mich nicht konzentrieren und raste in den Delikatessenladen. Zum Glück waren die Läden auch nachts geöffnet.“

Max Herrmann-Neiße, der kleinwüchsige Berliner Literat und „Erfinder“ der Kabarettkritik, bewunderte in den zwanziger Jahren Valeska Gert, hielt ihr die Stange des „weiblichen Kabaretts“, bejubelte Szenen, „die nur dieser Mensch so erfinden und so formen kann, das Bild einer Kupplerin, einer Amme, ein Verwesungsgespenst, beste Pantomime, bestes Grandguignol, beste Spukbühne! Da gab es konzentrierte, stoßsichere Parodien auf knalliges Diseusentum, neckisches Balletthüpfen, und freilich war es keine angenehme Art der Entlarvung, es ging unumwunden böswillig und schonungslos zu, die künstlerische Elementarkraft (noch dazu eine Frau!) wagte sich bis ins Fratzenhafte, aber alles blieb Harmonie, weil die Gert tanzen kann, ihren Körper beherrscht, ohne schmal zu sein, leicht bleibt.“

Solche Beschreibung heuer in Kenntnis der im Alter noch Lotti- Huber-haft energisch wirkenden Dame auf die Bühne zu holen, wagte in Frankfurt die römische Theaterwissenschaftlerin und Schauspielerin Elletra da Salvo. Vergangenes Wochenende war das Ergebnis im Theater Mousonturm zu betrachten. Da Salvos Distanz zu Valeska Gert blieb selbst auferlegt. Vor den „Methoden“ des Gertschen Tanzes schauerte sie zurück. Die Gert tanzte ruckartig, drei Bewegungen in Richtung Himmelreich, um abrupt in der Hölle zu landen, anarchisch exaltiert, um sodann ganz in der Stille zu verharren, als lausche sie einer Andacht. Elletra da Salvo dagegen drehte den Spieß um. Sie tanzte mit einem Teller Salat solange so stumpf exaltiert, bis sich disperate Gefühle im Publikum einstellen, Bewunderung sich mit Verachtung ablöst, Faszination sich mit einem schrägen Blick verknüpft. Minutenlang schmeißt sie mit Salat um sich und tanzt und tanzt, und nichts erinnert an Valeska Gert. Allein das Füßescharren, Armlehnenknacken, der erlösende Szenenapplaus erzählt von der Wirkung, die Valeska Gert einst auf ihr Publikum gehabt haben muß.

Elletra da Salvo tendiert zum traurigen Solo einer einsamen Frau. Dem Gertschen Ausbruch auf der Bühne stellt sie ein privat wimmerndes Muttchen gegenüber. Darin mag Wahrheit liegen. In der Einsamkeit der Bühne aber hungert das Publikum nach Ansprache und erhält eine Gert nur in Einzelteilen: da Salvo geköpft wie ein Johannes auf dem Tablett, da Salvo als Ganzkörpermumie, rezitierend: „Bleiche weiße Leiche. Ich laß dich nicht begraben. Ich muß dich haben...“ Grufties und Gothics sind für solche Zeilen dankbar. Da Salvo seziert die Todesfaszination der Gert, psychologisiert die große Tänzerin, läßt sie herumstochern zwischen Federn, Scherben und Erde, auf einem einsamen Planeten, mit den Worten: „Sie wissen nicht, wieviel Mühen es jeden Tag macht, diese Unordnung herzustellen.“

Valeska Gerts Stimme kommentiert vom Tonband. Joseph Goebbels beschimpft vom Band her die „Vernarrung des menschlichen Schönheitsempfindens“. Ein seltener Filmausschnitt zeigt die Gert in einer Tanzabfolge und drängt Elletra da Salvo für Sekunden in den Hintergrund. Ein Abend, der zeigt, daß erruptive Kraft und radikales Leben undarstellbar bleiben. Da Salvo beschränkte sich darauf, zu kommentieren, zu stochern, zu erinnern – neues Leben konnte sie der großen „bleichen Leiche“ Valeska Gert nicht wieder einhauchen.

Elettra de Salvo: „Bleiche weiße Leiche, Hommage an Valeska Gert“. Mousonturm Frankfurt.