„Ich schäme mich für die Deutschen“

■ Ein Interview mit Ok Veth, dem einzigen kambodschanischen Diplomaten in Deutschland

taz: Ok Veth, Sie vertreten seit mehr als zwei Jahren als Dritter Sekretär der Außenstelle der Indischen Botschaft in Ost-Berlin die Interessen Kambodschas in Deutschland. Sie leben und arbeiten in Berlin-Pankow. Haben die Angriffe gegen Ausländer Ihr Lebensgefühl beeinflußt?

Ok Veth: Ich fühle mich nicht mehr richtig sicher. Seit den Angriffen auf Ausländer in Hoyerswerda habe ich einfach Angst, und seit Rostock ist es noch schlimmer geworden. Diese Angst wurde auch dadurch verstärkt, daß ich mehrmals von Deutschen beleidigt wurde. Als ich beispielsweise zusammen mit meiner Frau in die Kaufhalle in Pankow ging, pöbelten uns vier Männer an, die davor Bier tranken: „Wie lange wollt ihr denn noch hier bleiben, wollt ihr mal nicht langsam nach Hause abhauen?“ Ich habe nichts geantwortet, denn dann wäre die Situation vielleicht eskaliert. Ein anderes Mal parkte ich vor dem Postamt, um schnell einen Brief in den Kasten zu stecken. Da beschimpfte mich ein älterer Herr im Anzug: „Du“ – er duzte mich einfach –, „du kennst wohl die Straßenverkehrsordnung nicht“. Aber dort ist nur Halteverbot und kein Parkverbot – ich habe schließlich den deutschen Führerschein gemacht. Ich habe mich trotzdem nicht getraut, ihm zu widersprechen, denn wenn es zu einem Wortwechsel käme, würden die anderen Deutschen mich angucken, ich würde mich zu einer Zielscheibe machen. Mich haben solche Szenen sehr enttäuscht, denn in meiner Heimat, in Kambodscha, werden Ausländer, einerlei ob sie Diplomaten sind oder nicht, von allen, sogar von Bettlern, sehr freundlich behandelt ...

Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.

Aber in Deutschland werden Ausländer, selbst wenn sie ein Diplomatenkennzeichen auf dem Wagen haben, angepöbelt. Wie kann ich mich unter solchen Bedingungen noch besonders wohl fühlen?

Sind Sie auch schon regelrecht bedroht oder körperlich angegriffen worden.

Ich selbst zum Glück noch nicht, aber ich kenne mehrere Fälle, in denen Kambodschaner – es leben hier noch etwa 150 Auszubildende in der ehemaligen DDR – attackiert wurden. In Halle wurde ein Student auf dem Bahnhof von Skinheads angegriffen und ausgeraubt. Er konnte noch entkommen und wegrennen. Ich sage unseren Leuten immer: „Ihr müßt sofort wegrennen und möglichst weit wegrennen. Kämpfen hat keinen Sinn.“ Oder bei einem Gastlektor, der derzeit an der Humboldt-Universität lehrt und in Marzahn wohnt, klingelten eines Abends drei Skinheads mit Waffen in der Hand. Er hat sie durch den Spion gesehen, nicht aufgemacht, und sie sind zum Glück wieder abgezogen. Der Mann traut sich aber nicht, zur Polizei zu gehen, weil er Angst vor der Rache hat. Er lebt versteckt wie eine Maus. Jeder von uns Kambodschanern hat schon Fremdenfeindlichkeit erlebt, zum Glück die meisten bisher nur in Worten.

Haben Sie Ihre Lebensweise verändert?

Ja. Wenn es dunkel ist, bewege ich mich nur mit dem Auto fort. Hier in dieser Siedlung in Pankow fühle ich mich sicher, hier in diesem vielleicht vier Hektar großen Gebiet gehe ich auch mit meiner Tochter spazieren. Aber ich verlasse ungern dieses Gebiet, denn dann muß ich immer gucken und immer wachsam sein. Wir Ausländer sitzen im Zug oder in der Straßenbahn und wissen nicht, wer vernünftig und wer unvernünftig ist.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus diesen Erlebnissen und Ängsten?

Ich schäme mich, denn ich bin ja selbst bald ein halber Deutscher. Ich schäme mich für die Deutschen beziehungsweise für die wenigen schlechten Deutschen, die Ausländer angreifen. Wenn mich Menschen in meiner Heimat nach den Gefahren für Ausländer hier fragen, kann ich gar nicht offen antworten. Es ist nicht zu vermitteln, daß die Regierung eines solch starken Landes wie Deutschland diese Kriminalität nicht zurückdrängen kann. Man kann solche Angriffe nicht hundertprozentig verhindern, aber doch ihre Zahl verringern. Aber sie steigt immer weiter an. Ich kann nicht recht glauben, daß die deutschen Sicherheitsbehörden solche kriminellen Angriffe nicht drastisch zurückdrängen können. Es gibt auf der ganzen Welt Rassismus und Nationalismus – in Kambodscha haben die Roten Khmer auch alle Ausländer umgebracht –, aber man muß etwas dagegen tun. Man muß mehr tun, als in Deutschland bisher getan wurde.

Sie haben in der DDR studiert, sind Sie damals rassistischen Attacken ausgesetzt gewesen?

Ich habe von 1980 bis Anfang 1986 in der DDR studiert, und mir ist damals nichts in dieser Richtung passiert. Damals hatte ich keine Immunität, keine Privilegien, kein Auto, doch mir ist nichts passiert. Ich bin sehr oft mit dem Zug gefahren, um meine Freundin zu besuchen, und ich mußte keinerlei Angst haben.

Wie erklären Sie sich diese radikalen Veränderungen.

Zu DDR-Zeiten war die Jugend straff organisiert. Sie hatte, wenn man so will, keine Freiheit. Deshalb passierte uns Ausländern nichts. Ein einziges Mal hat mich mal ein Deutscher in unserem Wohnheim ein bißchen beleidigt. Er kam drei Tage später und hat sich dafür bei mir entschuldigt. Wahrscheinlich hat ihm ein FDJ- Kader gesagt, er müsse das tun.

Eigentlich kann ich mir diese Veränderung nur mehr so erklären, daß die Skinheads Rückendeckung von einigen Politikern, aber auch von einem Teil der Bevölkerung haben, daß sie mit dem Wissen zuschlagen, daß nicht nur sie glauben, daß die Ausländer das Problem sein sollen und nicht ihre kriminellen Taten.

Hat das Auswärtige Amt, dessen Gast Sie in Deutschland sind, mit Ihnen Kontakt aufgenommen oder etwas für Ihren Schutz getan?

Nein. Einmal – als eines Morgens in diesem Viertel in Berlin- Pankow, in dem sehr viele Diplomaten aus der Dritten Welt wohnen, die Parole „Ausländer raus, Adolf Hitler ist unser Führer“ an eine Wand gemalt war – habe ich die Außenstelle des Auswärtigen Amtes in Berlin angerufen. Es kamen schnell mehrere Polizisten, die die Parole beseitigt haben.

Das ist ja nicht allzuviel.

Ja. Aber ich möchte die Situation auch nicht dramatisieren. Ich habe das Pol-Pot-Regime der Roten Khmer in Kambodscha überlebt. Mein Vater und mein Bruder sind damals ermordet worden, und ich hatte wie alle anderen furchtbare Angst, viel größere Angst als heute in Deutschland. Allerdings war das Pol-Pot-Regime eine Diktatur in einem permanenten Zustand des Bürgerkriegs, und heute lebe ich in einem eigentlich sehr demokratischen, friedlichen Land – und muß dennoch Angst haben. Dieser Widerspruch ist sehr schlimm für mich. Wenn mich Freunde in Phnom Penh nach meinem Leben in Deutschland fragen, kann ich Ihnen das nicht erklären, weil sie ein so positives Bild von Deutschland haben. Für sie ist Deutschland ein Paradies, sie glauben mir nicht.

Ich sage mir immer: Es ist eine kleine, kleine Minderheit schlechter Deutscher, die uns bedroht. Als Diplomat ist es meine Aufgabe, die Beziehungen zwischen Kambodscha und Deutschland zu fördern und zu entwickeln, die sind ja erst am Anfang. Deshalb dramatisiere ich auch die Berichte an unser Außenministerium nicht.

Aber wie läßt sich das mit der Angst und Ihren Erfahrungen vereinbaren?

Ich habe hier in Deutschland eine politische Aufgabe zu erfüllen – aber wenn es nur nach mir persönlich ginge, würde ich sofort um meine Abberufung nachsuchen. Interview: Michael Sontheimer