Beschleunigt an Stendal vorbei

Verkehrsminister Krause will eine 14 Kilometer lange Bahnstrecke zum Gesetz erheben/ Gestern erste Lesung im Bundestag/ SPD zahnlos  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – Rechtsstaatliche Verfahren sind Verkehrsminister Günther Krause ein Greuel – er vermag darin nichts als Verzögerungstaktik zu entdecken. In normalen Zeiten könne man sich derartige Verfahren ja vielleicht leisten; gegenwärtig befinde sich Deutschland aber in einer „Ausnahmesituation“. Und da kann es „verfassungsrechtlich zulässig sein, die sonst vorgesehene behördliche Planungsentscheidung durch Maßnahmegesetze zu ersetzen“, heißt es in seiner Erklärung zum Investitionsmaßnahmegesetz, das gestern in der ersten Lesung im Bundestag behandelt wurde.

Konkret will Krause die Vollmacht für den Bau einer 14 Kilometer langen Schnellbahnstrecke südlich von Stendal. Haben die Bonner ParlamentarierInnen erst einmal ihren Segen gegeben, ist Krause nicht mehr durch „öffentlich-rechtliche Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse, Bewilligungen, Zustimmungen und Planfeststellungen“ zu bremsen. Nur eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wäre dann noch möglich. Da die aber keine aufschiebende Wirkung hätte, würden die Bagger möglicherweise schon das ganze Gelände umgepflügt haben, wenn die Karlsruher Richter das Projekt stoppen.

Schon vor einem Jahr hat die Stadt Stendal Klage beim Magdeburger Landgericht eingereicht. Denn die Bonner Ministerialen haben einen alten DDR-Plan für die Linie Moskau-Paris aus der Schublade gezogen, der die Trasse südlich an der Stadt vorbeiführt: kein einziger Zug würde in dem 50.000-Einwohner-Ort halten.

„Die SED-Südumfahrung sollte möglichst weit durch unbebautes Gebiet führen“, so Stendals stellvertretender Bürgermeister Volker Stefan (SPD). Gerade aber in einer Anbindung des traditionellen Verkehrsknotenpunktes an das Bahnnetz sehen die Stendaler gute Chancen, den Aufschwung Ost zu sich zu holen. Gegen die von Krause geplante Trasse spricht außerdem eine Umweltverträglichkeitsstudie, die die von der Stadt favorisierte Strecke wesentlich besser beurteilt. Der Verkehrsminister aber will keine Alternativen prüfen, weil er glaubt, so Zeit zu sparen.

Mit diesem Ansinnen aber wird er scheitern, vermuten viele KritikerInnen. „Der Gesetzestext enthält eine Fülle von Klageansätzen“, so die SPD-Abgeordnete Margit Wetzel. Hessen hat bereits angekündigt, daß es das Bundesverfassungsgericht anrufen werde. Denn das Eisenbahnprojekt Stendal soll nach Krauses Vorstellungen lediglich der Auftakt für eine Fülle anderer Maßnahmegesetze sein. Schon in den nächsten Wochen soll sich der Bundestag mit zwei weiteren Vorhaben beschäftigen, die Krause zum Gesetz erheben möchte: die A20 bei Wismar und einem Autobahnstück zwischen Halle und Magdeburg. In Wismar ist inzwischen die einwöchige Frist abgelaufen, in der BürgerInnen ihre Bedenken gegen die Planungen kundtun konnten. Wie ernst man die zu nehmen gedenkt, wird schon aus der Bekanntmachung deutlich: „Wir bitten, etwaige Äußerungen zu der Planung schriftlich an die DEGES (Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH) zu richten, damit diese ggf. bei der abschließenden Bearbeitung des Entwurfs zum Investitionsmaßnahmegesetz berücksichtigt werden können.“

Da die Planungsbehörden durch die Gesetze ausgeschaltet würden, sind offiziell die Bundestagsabgeordneten für bautechnische Details und die Abwägung privater und öffentlicher Belange verantwortlich. „Ohne Ortskenntnisse – einfach so aus dem hohlen Bauch“, faßt Wetzel die Entscheidungsgrundlage zusammen. So dürfte gestern auch kaum einem Bundestagsabgeordneten aufgefallen sein, daß auf den Plänen für die Trassenführung bei Stendal ein neues Wohngebiet überhaupt nicht auftaucht.

Während aber die SPD in Bonn angekündigt hat, daß sie das Vorhaben „selbstverständlich“ ablehnt, hat der sozialdemokratisch dominierte Bundesrat sich bisher lediglich zu einer lapidaren Stellungnahme durchringen können. „Eine Ablehnung würde als Verzögerungstaktik aufgefaßt. Das wäre schlechter politischer Stil“, versucht Wetzel das Verhalten ihrer Parteikollegen zu rechtfertigen. Mal wieder muß die Bundes- SPD feststellen, daß sie verkehrspolitisch völlig zahnlos ist – denn die Genossen in den Ländern sind mit Krauses Politik im Grunde ganz zufrieden.