Ein Hörsaal oder ein Zirkus oder was?

■ Heute wird in Bonn der neue Plenarsaal des Bundestages eingeweiht

Bonn (taz) – Es mangelt nicht an Vorschlägen, wozu der 256-Millionen-Mark-Bau nutze sein könnte. „Das wird der schönste Hörsaal der Republik“, meint der SPD-Abgeordnete Peter Conradi. „Für Tagungen der UNO“ geeignet, meint Werner D'hein, Sprecher der Stadt Bonn. „Zusammen mit dem Langen Eugen wäre es auch“, so wieder Conradi, „eine hervorragende Konzernzentrale.“ Auch der Reichsbund der Kriegsopfer ließ seine Architekturexperten nachdenken, kommt jedoch zu einem wenig pietätvollen Ergebnis: „Man sollte es an einen Zirkus verkaufen.“

Nein, mit einem Zirkus hat das alles wahrlich nichts zu tun. 16 Monate nach dem Beschluß des Bundestages, seinen Sitz nach Berlin zu verlegen, weiht das Parlament heute seinen neuen Plenarsaal ein– in Bonn, wo sonst. Um der verschmähten Stadt nicht den Eindruck zu vermitteln, sie würde links des Rheins liegengelassen, hatten die Abgeordneten unmittelbar nach ihrem Berlin-Beschluß auch einen Bonn-Beschluß gefaßt. Der Plenarsaal, eben begonnen, sollte fertiggestellt werden. Und auch der sogenannte Schürmann- Bau, ein zusätzliches Bürogebäude für die Parlamentarier, wurde in nur leicht abgespeckter Form in Angriff genommen. Kostenpunkt: 600 Millionen Mark.

Wenn die Abgeordneten des Deutschen Bundestages heute früh mit vielen Reden und musikalischer Untermalung den neuen Plenarsaal einweihen, dann tun sie das dennoch mit der Bekräftigung, recht bald schon nach Berlin umziehen zu wollen. „So feierlich das auch begangen wird, ist das keine Entscheidung gegen Berlin“, versicherte gestern FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms. Schon 1998 könne der Bundestag, „wenn man sich Mühe gibt“, umziehen.

Was Solms gestern angeblich nicht wußte: Am Mittwoch abend hatte der Haushaltsausschuß einstimmig beschlossen, den Startschuß für ein weiteres Bonner Bauprojekt zu geben. Für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) sollen zwei private Investoren insgesamt 40.000 Quadratmeter Bürofläche schaffen. Der Mietvertrag, den das BMZ mit den Investoren schließen wird, läuft über zehn Jahre, gerechnet vom Einzugstermin 1995. Da das Ministerium – es soll ohnehin auf Dauer in Bonn bleiben – selbst nur die Hälfte der Räume brauchen wird, ist bereits ein Untermieter ausersehen: die Verwaltung des Deutschen Bundestages, der doch angeblich 1998 nach Berlin umzieht.

Noch hat die Baukommission des Bundestages, glaubt man ihrem Mitglied Conradi, diesen Plan nicht genehmigt. Dennoch logisch, daß angesichts der in Bonn verbauten Milliarden das Geld langsam knapp wird. „Daß für größenwahnsinnige Repräsentationspläne der Bundesregierung der kleine Steuerzahler bluten soll, ist unverantwortlich“, wetterte am Mittwoch der CSU-Abgeordnete Günther Müller. Seine Folgerung: Würde man auf den Umzug nach Berlin verzichten, wären die Steuererhöhungspläne der Bundesregierung „überflüssig“.

In die gleiche Kerbe hieb Ingrid Matthäus-Maier, SPD-Finanzexpertin. Wenn man den Bürgern für einen Umzug in die Tasche greife, fördere dies nur die Politikverdrossenheit, warnte sie. Aber sie hatte auch beruhigende Worte parat, die geeignet sind, die Politikverdrossenheit, zumindest die der Bonner, zu dämpfen. Man müsse sich darauf einstellen, daß der Umzug nach Berlin „eine Generation länger“ dauern würde als bisher gedacht.

Kein Wunder, wenn nun auch Bonn-Sprecher Werner D'hein glaubt, die Einweihung des Plenarsaals werde den 30. OKtober 1992 zu einem „großen Tag für Bonn“ adeln. Er prophezeit: „Viele Menschen werden hinterher fragen, ob der Umzug nicht doch Unsinn ist.“ Hans-Martin Tillack