Unsere Jungs von der BePo in Bayern

■ Es kommt zuweilen, daß BereitschaftsplizistInnen zu Großeinsätzen in andere Bundesländer abkommandiert werden. Ein solcher Mammuteinsatz war der Münchner Weltwirtschaftsgipfel (MWG) im Juli dieses...

Kaum eine Meldung wirkte vor dem MGW so nachhaltig wie die Anforderung des Freistaates Bayern nach Entsendung einer Einsatzhundertschaft z.o. Ereignis. (...) München, wo andere Leute Urlaub machen, fast eine Traumdienstreise. Die 5.Hundertschaft (Hu) erhielt den Zuschlag. Freude war bei allen Angehörigen der 5. zu verspüren. Hektisches Treiben setzte in allen Zügen und im Hu-Trupp ein.

Vorbereitende Maßnahmen: Urlaube wurden verlegt, Termine abgesagt oder geändert, ja sogar die Zustimmung für ein Hinterherfahren auf eigene Kosten eingeholt. Keiner wollte bei diesem doch für viele einmaligen Einsatz zu Hause bleiben. (...) Die Wochen bis zum Abreisetermin verliefen für die Züge fast normal, während die Tätigkeit der Funktionsdienste von reger Geschäftigkeit war. Ausrüstungen mußten beschafft bzw. komplettiert, Fahrzeuge inspiziert und von anderen Hundertschaften ausgeliehen werden. Jeder griff zu wo er konnte. Selbst zusätzliche Gruppenkraftwagen- (Grukw) und Kradfahrerausbildung wurden schnellstmöglich durchgeführt.

Die erste Grundeinweisung in die Einsatzproblematik und die Örtlichkeit wurde durch den Polizei-Psychologischen Dienst Bayerns in unserer Unterkunft abgehalten. Ortsbesichtigungen und Einsatzbesprechungen in München, wahrgenommen durch die Hundertschaftsführung, vervollständigten den Wissensstand über Einsatzabläufe, Anwendung bayerischen Rechts, Besonderheiten der einzelnen Einsatzabschnitte, und vermittelten erste Eindrücke von unserer „Wahl-Polizeiunterkunft“ in Freising. So war dann zum Abreisetermin die Hundertschaft hochmotiviert, sämtliche Lagen zu bereinigen. Man wollte es den Bayern schon zeigen, was es bedeutet, eine Hamburger Einsatzhundertschaft bei sich zu haben.

Nachts gegen 00.45 Uhr standen fast dreißig Fahrzeuge zwischen den Hallen „A“ und „B“ voll aufgetankt und bepackt. Die Hundertschaft stand im offenen Karree angetreten, bereit die Losung des Tages durch den Hundertschaftführer (Hufü) entgegenzunehmen und das Startsignal für die lang herbeigesehnte Abfahrt zu vernehmen.

Gute Wünsche für erfolgreiche Einsatztage, eine unfallfreie Fahrt und gesunde Heimkehr, wiederholt durch unseren unermüdlichen Polizei-Pfarrer Tourneau — in Fachkreisen „Libelle 4“ genannt („Libelle“ heißen die Polizeihubschrauber d. Red.) —, der die Reise mit uns antrat, dann hieß es aufsitzen. Punkt 01.00 Uhr rollte das erste Fahrzeug aus dem Kasernentor.

Freising ist unser Ziel

Hier wird die Hundertschaft mit Bremern, Brandenburgern und Sachsen- Anhaltern in der General-von-Stein- Kaserne untergebracht. Große Erwartungen auf die als „Best“ angekündigten Unterkünfte. Ein bei uns doch ungewohntes Bild am Kasernentor: Zackig reißt der Soldat bei jedem Fahrzeug die Hand zum Gruß an die Kopfbedeckung. Vorfahren bei Block „C“ für das Gros der Fahrzeuge.

Erste Besichtigung ohne Gepäck. Alle sind guter Dinge, bald ein wenig die Matratze nach 15stündiger Fahrt abhorchen zu können. Doch irgendeiner hat die Namen an den Türen vertauscht, es fehlen Betten — Aufregung! Unser Vorkommando wieselt über die Flure und löst die Probleme nach kurzer Zeit. Trotz langer Reise und teilweise berechtigtem Ärger der zunächst „Bettlosen“ kann die kleine Panne die fröhliche Stimmung nicht beeinträchtigen.

Dann, nachdem das Abendbrot gegessen, die Örtlichkeit ein wenig inspiziert wurde, macht die Aussicht auf einen gemeinsamen Besuch in einem der Biergärten des Ortes, „Plantage“, wieder gute Laune. Große Abordnungen aller Polizeieinheiten treffen sich dann am Shuttle-Platz für den Transfer zur „Plantage“. Hoch geht es dort, im Wald versteckt, her. Das bayerische Bier, so „leicht“ und „dünn“ wie es sein soll und beschrieben wird, es fordert seinen Tribut. Norddeutsche Gesänge hallen durch den Wald. Zunächst erst einmal abwartend von den übrigen Gästen beargwöhnt, dann jedoch wohlwollend akzeptiert. Die Norddeutschen (Preußen) können eben auch feiern und fröhlich sein.

Einsatztage in München

Der Einsatz in München hat gut angefangen. Der nächste Tag ist für eine Ortsbesichtigung aller Kräfte vorgesehen. Zugweise ist München zu erreichen. Im unmittelbaren Einsatzgebiet — rund um die Residenz — wimmelt es nur so von Polizeikräften aus den unterschiedlichsten Bundesländern. Kräder, Grukw, Busse usw., nicht nur für den Müncher Bürger bietet sich ein Schauspiel besonderer Art. Doch überall ist eigentlich Zustimmung und Verständnis zu verspüren, daß so ein großes, weltpolitisches Ereignis dem Einzelnen doch gewisse Einschränkungen abverlangt. Lediglich die im Absperrbereich ansässigen Geschäftsleute — an den Renommiermeilen — zeigen sich etwas reservierter.

Am Samstag, dem 04.07.1992 erfolgt unser erster Einsatz, eine Großdemo gegen den MWG. Es werden ca.10000 Teilnehmer, darunter ca.2000 gewaltbereite Autonome, erwartet. Mit einem miserablen Frühstück (alte Brötchen — Semmeln wie die Bayern sagen — und Bundeswehr-Einheitswurst) beginnt der heutige Tag nicht gerade erfreulich. Auch die Auftragslage, zunächst Reserve zusammen mit zwei hessischen Hundertschaften, läßt das „Frühstücksgrummeln“ nicht verstum-

men.

Dann, nach Einnahme unseres Mittagessens, kommen erste Funkmeldungen über den Aufzug. Die Prognosen scheinen sich zu bestätigen. Ca.10000 Teilnehmer, darunter eine große Zahl gewaltbereiter Personen aus dem autonomen Spektrum. Es kommt beim Einschreiten der Unterstützungskommandos zu Auseinandersetzungen. Unser Hufü bietet sich als Reserve an, blitzschnell sind die Mannen behelmt und mit Lederjacken versehen, Motoren werden angeworfen. Sekunden des Wartens werden zu Minuten, man will endlich zum Einsatz kommen, dafür sind wir nun mal hier, eine gut ausgebildete, intakte Einsatzhundertschaft.

Es wird nichts mit dem Abzug vom US-Generalkonsulat, weil es dem bayerischen Einsatzführer zu riskant erscheint. Die Stimmung ist nicht mehr ganz so optimistisch, als am späten Nachmittag das heutige Abendbrot, recht lieblos und noch dazu unterschiedlich zusammengestellt, ausgeteilt wird. Als Getränk wird ein gräuliches Gebräu den Thermen entlockt, das angeblich schwarzer Tee sein soll. Eine wahre Steigerung zum Frühstück.

Zwischenzeitlich hat sich die Demo friedlich aufgelöst. Vor Rückkehr nach Freising versorgen sich die hungrigen Beamten teilweise selbst beim „Wiener Wald“, Italiener oder Griechen. Das mit dem Essen hat ein Nachspiel. Telefondrähte glühen, der Inspekteur der bayerischen Polizei erscheint höchstpersönlich vor Ort und reger Schriftverkehr entwickelt sich zwischen den beteiligten Dienststellen. — Aber es tut sich etwas in der nächsten Zeit. Kühlschränke werden geliefert, Folienschweißgeräte beschafft. Rundum ist eine qualitative Steigerung sämtlicher Eßwaren festzustellen. Die Motivation steigt wieder.

Sonntag, der 05.07.1992, bringt endlich die Möglichkeit, halbwegs auszuschlafen. (...) Erst Mittags geht's nach München. Zusammen mit einer Hundertschaft aus Eichstätt sind Absperraufgaben an der Residenz vorgesehen. Die Rückkehr erfolgt nach Ablösung durch eine BGS- Einheit. Nicht nur die Münchner Bevölkerung, auch Kollegen konnten feststellen, daß immer mehr Frauen den Dienst beim BGS und der Polizei aufgenommen haben und ihren „Mann“ stehen.

Montag, 06.07.1992, der offizielle Beginn des MGW, d.h. sämtliche am Gipfel beteiligten Regierungschefs und ihre Delegationen werden vom Bundeskanzler (BK) vor der Residenz

1am Max-Joseph-Platz mit militärischen Ehren empfangen. Unser Auftrag, als Eingreifreserve im unmittelbaren Nahbereich zur Lagebereinigung bei möglichen Störungen des Empfangszeremoniells bereitzustehen, verspricht heute eine interessante Aufgabe zu werden.

Ein langer Tag zeichnet sich ab. Früh, 06.00 Uhr, verlegt die Hu nach München. Unsere Einfallstraße, die Leopoldstraße, gleichzeitig Fahrtweg für die Staatsgäste, war schon in der Nacht zuvor durch starke Polizeikräfte bestreift worden. Kein geparktes Fahrzeug stand mehr am Straßenrand, somit auch für uns freie Fahrt direkt bis zur Gitterabsperrung an der Feldherrenhalle. Absitzen, Gerät aufnehmen und schon verschwindet die Hu im Dunkel der Tiefgarage, belegt Tische und Bänke. Die Luft ist stickig und warm, obwohl sämtliche Ventilatoren für frische Luft sorgen sollen.

Zunächst will die Polizeiführung keine grüne Mütze auf dem Max-Joseph-Platz sehen. Doch es kommt ganz anders. Wir müssen doch alle unsere Mütze zeigen, denn bereits bei der Vorfahrt der ersten Delegation machen sich trotz aller Vorkontrollen potentielle Störer lautstark bemerkbar. Als den Pfeifkonzerten auch Parolen strafrechtlich relevanten Inhalts folgen, läßt die Anordnung zur Räumung des Vorplatzes nicht lange auf sich warten. Schnell kommen die „95er“ aus den Garagenausgängen ans Licht des Tages, um in Zusammenarbeit mit bayerischen Kräften Störer aus dem unmittelbaren Veranstaltungsraum zu ent-

1fernen.

Nach Auftragserledigung können fast alle Kräfte das jetzt störungsfrei verlaufende Empfangszeremoniell, ein buntes Schauspiel besonderer Art und für viele von uns sicher auch einmalig, doch hautnah miterleben.

Während für die meisten Beamten der Rest des Tages ohne Besonderheiten verläuft, sorgt im Einsatzabschnitt des 4. Zuges ein etwas verwirrter „Geist“ für Aufregung.

Was war geschehen? Der Bundeskanzler nahm ein Bad in der Menge und entdeckte zwei hübsche Hamburger Polizeibeamtinnen, jawohl, die einzige Zugführerin der Nation und ihre Gruppenführerin, die entlang der Gitterabsperrung für Sicherheit sorgten. Der BK bedankte sich bei den Hamburger Deerns per Handschlag für die geleistete Arbeit. In diesem Moment rief ein hinter der Absperrung stehender Passant dem BK beleidigende Worte zu. Durch den Einsatz einiger Beamter des 4. Zuges wurden die Tiraden sofort unterbunden.

Die anschließende Untersuchung ergibt, daß die Person mit einem Gasrevolver, einem als Kugelschreiber getarnten Stilett und einem Gassprühgerät bewaffnet ist und einen Koffer unbekannten Inhalts in der Nähe abgestellt hat. Die weiteren Maßnahmen — Festnahme, Absperrung, Berichtsfertigung und Übergabe der Person an hinzugerufene bayerische Kräfte — vollziehen die Beamten mit gewohnter hanseatischer Gelassenheit, wofür über Funk Lob und Anerkennung ausgesprochen wird.

Etwas seltsam und wenig professionell nehmen sich dagegen die Entscheidung und Handlung eines ebenfalls herbeieilenden Abschnittführers aus. In einem Nachgespräch zwischen Hufü und dem Beteiligten wird Einsicht — wenn auch späte — geweckt, so daß weitere Maßnahmen entbehrlich erscheinen.

Dienstag, 07.07.1992 und Mittwoch, 08.07.1992. Anreise wie an den Vortagen. Die Auftragslage hat sich für die Hu nicht wesentlich geändert, d.h. Unterstützung der äußeren Absperrung. (...) Bei etwas „Luft“ in der Aufgabenwahrnehmung haben Kräfte am Vortage die Möglichkeit ausgekundschaftet, im Bereich der VIP-Zelte eine Versorgung mit kleinen Köstlichkeiten durchzuführen. In Kleingruppen konnte u.a. auch vom hinter den VIP-Zelten gegrillten Ochsen gekostet werden. Gerade bei den eigenen Versorgungsschwierigkeiten ist so eine Möglichkeit doch sehr willkommen. Nach dem Motto: „Einer sagt's dem anderen, aber bitte die Regeln beachten“, entwickelt sich solch ein Geheimnis mit der entsprechenden Eigendynamik, die gerade bei den Polizeibeamten sehr ausgeprägt ist, daß bereits nach kurzer Zeit ein Funkspruch die Quelle, an bayerischen Schmankerln teilhaben zu können, zum Versiegen bringt. Lediglich der Augen- und Nasenschmaus kann noch statt-

finden.

Bis zum Mittwochnachmittag bleibt es dann auch im gesamten Einsatzabschnitt (EA) relativ ruhig. Eine

1Spontandemonstration ist avisiert. Aktivitäten und vorbereitende Maßnahmen werden getroffen, um Störungen der abfahrenden Delegationen beim Eintreffen des Aufzuges zu verhindern. Es bleibt jedoch weiterhin ruhig. Nur noch wenige Demonstranten (vielleicht 30-50), es sind die gleichen wie an den Vortagen, haben sich eingefunden und pfeifen sogar Leerkolonnen aus, die durch unsere Absperrung sausen. Sie sind jedoch in der Minderheit und werden von einer großen klatschenden Menge übertönt. Selbst eine kleine abgelöste Bremer Polizeieinheit wird durch die Zuschauer beklatscht, als sie zu ihren Fahrzeugen in Reihe vorbeimarschieren.

Insgesamt positive Eindrücke

Die letzten Delegationen haben München verlassen. Neben dem BK sind nur noch der russische Staatspräsident und der kanadische Regierungschef in der Residenz. Dann erscheint Boris Jelzin, geht spontan über den Platz vor der Feldherrenhalle auf die Absperrung zu, schüttelt Hände über die Gitter hinweg. Er wird allerseits bejubelt.

Ein letztes Winken, dann fährt auch er davon; in seiner extra eingeflogenen russischen Limousine vom Typ „Tschaika“. So einfach kommt der kanadische Premier Moulrony nicht davon. Noch während er das Bad in der Menge nimmt, schwebt „Libelle 4“ ein, wieselt durch die Personenschützer, ergreift die Hand des Premiers und wünscht wohl gute Heimreise. (...) Wir verdünnen unsere Absperrlinien. Der rote Teppich vor der Kaiserhof-Zufahrt wird auch schon eingerollt. Das ist das Zeichen, der MGW ist beendet.

Mit Blaulicht und Horn verabschieden wir uns von unseren Münchner Gastgebern. Vorbei an vollbesetzten Tischen der StraßenCafés in Schwabing. Gern hätten auch wir mehr Zeit für solch einen Besuch gehabt. Ein nächstes Mal wird es für uns in diesem Zusammenhang nicht geben.

Mit vielen Eindrücken, trotz langer Dienstzeiten, werden wir nach Hamburg zurückkehren und davon schwärmen, wie schön es doch insgesamt war.

Um 00.00 Uhr verlassen wir die General-von-Stein-Kaserne, unseren einwöchige Unterkunft. Blaulichter zucken, der Torposten grüßt ein letztes Mal. Freising haben wir bald in der Nacht hinter uns gelassen. Wieder übernehmen die Kräder ihre Pfadfinderarbeit. (...) Die Kolonne fährt auf. So, wie wir uns in München verabschiedet haben, kündigen wir unsere Rückkehr in Hamburg an und erreichen unsere Unterkunft endlich wieder. Eine letzte gemeinsame „Tonfolge“, dann werden die Motoren abgestellt. Kleine unangenehme Begleiterscheinungen weichen recht schnell den insgesamt positiven Eindrücken. Das gemeinsame Erleben wird im Vordergrund stehen.

Servus München, Servus Bayern!!“

EPHK Linska, PHK Häußler