Schweigen im Hospital

■ Behindertenbereich in Lindenthal in der Dauerkrise

Hierhin bitte das Bild von dem Gebäude

Es könnte alles so schön sein ...Foto: Christoph Hozapfel

Die schleichende Auszehrung hat den Behindertenbereich im Evangelischen Hospital Lilienthal befallen: 180 von 230 qualifizierten MitarbeiterInnen haben in den letzten dreieinhalb Jahren gekündigt. Von zweieinhalb Psychologenstellen ist derzeit nur eine besetzt, im April 1992 setzte das komplette KrankengymnastInnenteam ein deutliches Signal, als alle sieben auf einmal gingen. Die Folgen für die rund 300 BewohnerInnen sind fatal: Nach und nach haben sie fast alle ihre Bezugspersonen verloren. Weil die KrankengymnastInnen fehlen, können sie nicht mehr schwimmen und turnen. Sie würden umhergestoßen und alleingelassen, klagt Bernd Bockhorst, der Betreuer (Vormund) eines Bewohners: „Was hier stattfindet, ist teilweise nur noch Verwahrung.“ Die Behinderten würden nicht mehr gefördert, sie würden ruhiggestellt.

Und dabei könnte alles so schön sein. Das Hospital hat ein großes Schwimmbad und eine geräumige, gut ausgestattete Turnhalle. Und vor zehn Jahren gab es da auch ein sehr fortschrittliches Konzept der Behindertenbetreuung. Doch seit drei Jahren schwelt im Behindertenbereich ein sprengkräftiger Konflikt zwischen MitarbeiterInnen und Leitung.

Im Sommer 1990 hatten MitarbeiterInnen des Hospitals mit einer spektakulären Demonstration auf den Pflegenotstand im Behindertenbereich aufmerksam gemacht. Der niedersächsische Sozialminister Walter Hiller besuchte das Hospital und versprach mehr Planstellen. Doch Planstellen allein können den Behindertenbereich nicht retten, sagen MitarbeiterInnen und Eltern. Helfen könnten nur strukturelle und personelle Veränderungen.

Die MitarbeiterInnen fühlen sich vom autoritären Führungsstil

der Leitung bevormundet und gegängelt oder schlichtweg ignoriert. Sie hätten das Gefühl, ihre Arbeit werde nicht anerkannt, teilten die KrankengymnastInnen der Leitung in einem Brief mit, bevor sie gemeinsam gingen. „Uns wurde vorgeworfen, wir würden zuviel mit den PädagoInnen zusammenarbeiten“, berichtet eine von ihnen. Ein Vorwurf, den sie als verantwortungsvolle Betreuerin von Behinderten absurd fand. Und auch der Elternbeirat fühlt sich übergangen: „Wir haben dieser Leitung jahrelang Vorschläge gemacht und Anregungen gegeben, und unter dem Strich ist dabei nicht viel herausgekommen“, klagt Bernd Bockhorst: „Da werden Mitarbeiter herzitiert und in ihren Kompetenzen beschnitten.“

Der Krach wurde im Lande hörbar. PolitikerInnen reisten in Lilienthal an und wieder ab, im Frühjahr wurde ein Gutachten zur Situation des Behindertenbereichs erstellt, das niemand sehen darf, und die Probleme blieben bestehen. Der niedersächsische grüne Abgeordnete Pico Jordan, der das Hospital vor wenigen Tagen besuchte, stellte dort eine „beeindruckende Unfähigkeit zur Kommunikation“ fest.

Im September kam es zum Knall: Die Mitarbeitervertretung forderte in einem Brief an das Kuratorium des Hospitals, die Leitung des Behindertenbereichs abzusetzen und stellte zugleich jede Kommunikation mit den Chefs ein. „Auf dem Niveau, wo sich das jetzt verhärtet hat, geht es überhaupt nicht mehr weiter“, urteilte der grüne Landtagsarbgeordnete Pico Jordan nach seinem Besuch. Er forderte die „Entflechtung des Gesamtkomplexes“ in Lilienthal und die Ausgliederunng von Wohngruppen. Die Voraussetzungen seien gut, schon jetzt leben die Behinderten dort in Klein

gruppen zusammen. Und auf dem Potential der engagierten MitarbeiterInnen könne und müsse aufgebaut werden. Zu den hausinternen Konflikten meinte der Grüne: „Die Zahlen der Kündigungen sprechen für sich. Die Leitung tut gut daran, wenn sie jetzt den ersten Schritt tut.“

Das Kuratorium des Hospitals ist in Zugzwang geraten. Zum Unmut von MitarbeiterInnen und Eltern gesellte sich die Drohunng von Sozialminister Walter Hiller, die versprochenen Planstellen so lange zurückzuhalten, bis ein gutes Konzept für den Behindertenbereich vorliege. Nun hat eine Beraterfirma Einzug in das Hospital gehalten, die Vorschläge zur Umstrukturierung der Bereiche erarbeiten soll. „Wenn die meint, wir müßten personelle Konsequenzen ziehen, werden wir darüber nachdenken“, sagt Klinikvorsteher Pastor Wolfgang Cunow. Das Kuratorium des evangelischen Hospitals, dessen drei Bereiche Altenpflege, Krankenpflege und Behindertenbetreuung bislang zentral verwaltet wurden, wolle „mehr Verantwortunng in die einzelnen Bereiche“ hineingeben. „Dezentralisierung“ heißt das Zauberwort, mit dem der Hospitalvorstand die Probleme lösen will. Einen Konflikt zwischen MitarbeiterInnen und Leitung sieht der Klinikvorsteher nicht. Für ihn gibt es „Probleme zwischen Mitarbeitervertretung und Leitung“.

Doch das Kuratorium hat zu lange versucht, den Konflikt mit Beschwichtigungen wegzureden. Die Lage für die BewohnerInnen habe sich immer weiter verschlechtert, sagt Bockhorst, dem die massive Abwanderung qualifizierter Kräfte große Sorgen macht: „Vor fünf Jahren hat der Bereich wirklich noch engagierte Leute gehabt, aber die hat man kaltgestellt.“ Diemut Roether