Ein Blick hinter die Kulissen

In den Dekorationswerkstätten der Deutschen Staatsoper werden Bühnenbilder hergestellt, die oft nur ein einziges Mal verwendet werden  ■ Von Miriam Hoffmeyer

Berlin. Rille für Rille werden liebevoll die hohen schwarzen Kunststoffwände abgewischt, so daß sie bis zum zweiten Rang hinauf glänzen. Das abstrakte Bühnenbild zu „Parsifal“ in der Deutschen Staatsoper darf vor allem eins nicht sein: verstaubt. Vor jeder Aufführung rackert sich eine Gruppe von Bühnenarbeitern mit Leitern und Scheuerlappen an den drei Bühnenwagen ab. So einfach die großen Flächen wirken, so kompliziert ist ihr technisches Innenleben. Damit die Wagen in verschiedene Richtungen bewegt werden können, haben sie elektrische Antriebe an beiden Enden und in der Mitte. Drinnen sitzen Bühnenarbeiter, die während der Aufführung über Kopfhörer angewiesen werden, wohin sie die Kulisse steuern sollen.

Viele Teile der aufwendigen Technik für die 1,4 Millionen Mark teure Inszenierung wurden nicht in den Kulissenwerkstätten der Staatsoper gefertigt. Die Hydraulik und Elektromotoren stammen von einer englischen Spezialfirma, ebenso die metallisch glänzende Tresortür aus Polyester, die die Bühne beherrscht. „Das schaut aus wie aus Stahl, das hätten die hier nie so hingekriegt“, glaubt Bühnenbildner Harald Thor. Die Kunststoffplastiker der Lindenoper formten nur die gewellte Oberfläche der abstrakten „Blumenwiese“.

In der Regel werden jedoch alle Kulissen der Staatsoper in den hauseigenen Werkstätten an der Chausseestraße hergestellt. In dem weitläufigen, dringend renovierungsbedürftigen Hinterhofgebäude sind 120 Mitarbeiter beschäftigt. Die Dekorationswerkstätten der Deutschen Oper in Charlottenburg kommen dagegen mit 47 Beschäftigten aus. Allerdings versorgen die Werkstätten der Staatsoper auch noch drei Theater. Den Modellraum, in dem die verschiedenen Arbeiten koordiniert werden, schmücken Miniaturausgaben aller vier Bühnen. „Jedes neue Bühnenbild ist eine Nullserie, jedesmal fragt man sich von neuem, wie machen wir das?“ klagt Produktionsassistent Klaus Butzke. Die Arbeit an der „Parsifal“-Inszenierung dauerte von Januar bis Oktober – „wir sind heilfroh, daß wir die Sachen jetzt raus haben.“ Bei weniger aufwendigen Inszenierungen dauert es vom Modell bis zur Fertigstellung der Kulissen nur sechs bis acht Wochen.

Seit September laufen in den Werkstätten die Vorbereitungen zu Busonis „Brautwahl“, die am 5. Dezember Premiere hat. In der Mitte des großen Malsaals steht auf einer Staffelei das Vorbild für den Prospekt im Bühnenhintergrund. Auf dem Boden ist ein 300 Quadratmeter großes Tuch aus Segelleinen festgenagelt. Die Maler streuen erst Sägespäne drauf und sprühen dann Farbe drüber, um die gewünschte verschwommene Farbgebung zu erzielen. Um festzustellen, ob der Eindruck stimmt, müssen sie auf Gerüste unter der Decke des Saales klettern und die Stoffbahn von dort besehen.

Vier Tischlermeister arbeiten in den Kulissenwerkstätten, umgeben von einem Schwarm von Lehrlingen. Der Saal ist angefüllt mit fragil wirkenden Rahmen aus Fichtenholzleisten, die später mit Stoff bespannt werden. Jedes Teil trägt eine Beschriftung wie „Brautwahl, 4. Bild, Wand 1“. „Wenn das alles fertig ist, wird es ein ganzes Zimmer“, erklärt Tischlermeister Plötz. Eine Etage tiefer, in der meterhohen Rohtischlerei, werden die großen Bühnenwagen aufgebaut. Bei der „Brautwahl“-Inszenierung sind sie nicht frei beweglich wie in „Parsifal“, sondern laufen auf Schienen. Der stählerne Unterbau der Wagen kommt aus der hauseigenen Schlosserei, in der noch eine traditionelle Kohlenesse und ein Amboß stehen. „Manchmal möchte man ja einen alten Türklopfer haben oder ein Scharnier, das wird hier noch richtig geschmiedet“, erzählt Klaus Butzke. Aber meistens schweißen die Schlosser nur Stahlrohre zusammen.

Auch die zwanzig Näherinnen in der Deko-Abteilung erledigen nicht nur einfache Arbeiten wie das Säumen von Stoffbahnen, sondern schaffen auch kleine kunsthandwerkliche Kostbarkeiten – unter dem großen Hammer-und- Sichel-Emblem an der Wand steht ein frisch mit dunkelrotem Samt bezogenes Rokoko-Sesselchen. Ein Stockwerk tiefer türmen sich Styroporplatten, umgeben von halbfertig geformten Baumstämmen, Hirschgeweihen und Statuen in antikem Faltenwurf. Dazwischen thront eine knallgrüne Froschfamilie für die „Brautwahl“-Inszenierung. Im Nebenraum liegt ein strenger Geruch in der Luft – hier wird Polyester angerührt, mit dem die Styropor-Gebilde überzogen werden.

Obwohl viel Geld und Arbeit in ihnen steckt, können nur wenige Produkte der Kulissenwerkstätten mehrmals verwendet werden. Die Lagerkapazität der Staatsoper sei ziemlich begrenzt, erklärt Produktionsassistent Manfred Baumann. „Und dann kommt ja auch jeder Bühnenbildner wieder mit einer neuen Idee und will was ganz Eigenes haben.“