Ü-Musik für Ohr und Auge

■ „Wie es ihr gefällt“ – Vier Tage lang gastieren Musikerinnen im SO 36

„Welches ist die dümmste Frage, die Ihnen von Journalisten gewöhnlich gestellt wird?“ fragte ich die Jazzpianistin Irene Schweizer, die am Eröffnungstag des 2. Festivals von „Wie es ihr gefällt“ im SO 36 auftrat. Ihre Antwort: „Wie fühlen Sie sich als Frau?“ Gemeint ist natürlich: als Frau unter Männern.

Bei „Wie es ihr gefällt“ ist das so kein Thema. Zu dem Festival im SO 36 werden ausschließlich Musikerinnen geladen. Was nicht unbedingt heißt, daß „als Frau unter Frauen“ weniger von kulturellem Mißverstehen und Konkurrenz bestimmt ist.

Als erste Gruppe spielte das Duo Herzberg/Loebell improvisierten Jazz an Kontrabaß und Flügel. Die widerspenstige Art, in der Romy Herzberg den Baß attackierte, konnte das Zuviel an technischer Perfektion und das Zuwenig an Gefühl am Piano nicht aufbrechen. Kein Raum für Bilder, für Assoziationen entstand, vielmehr stellte das Duo, das als Einstieg schlecht gewählt war, eine perfektionierte Schwere (und, was nicht unwesentlich ist, auch einen Moment von Konkurrenz) her, die von den nachkommenden Künstlerinnen erst einmal weggespielt werden mußte. Christa Loebell bediente sich außerdem der spielerischen Markenzeichen von Irene Schweizer, die direkt danach auftreten sollte.

Kaum verwunderlich, daß sich Irene Schweizer zurückhielt. Sie ließ kein Hineinfallen in die Tiefen des Instruments zu, viel eher war da eine unterdrückte Beherrschung, eine Dressur, als wäre der Flügel das Tier oder auch der Körper eines anderen Menschen. Tempo wurde zur Wiederholung von Tempo, nicht zum erbarmungslosen Ausufern — Stampfen ist ja Kontrolle nicht Rebellion. Wie um die schlechten Gefühle, die sie sich am Klavier angetan hat, loszuwerden, wischte Irene Schweizer gelegentlich über eine Handvoll Tasten, wie eine Masseuse über den Körper der Massierten: damit neu angefangen werden kann.

Erst Iva Bittova gelang es, das Publikum zu fesseln. Die Tschechin, die mit 14 die Geige haßte und mit 24 wieder nach ihr griff — sie dann aber wieder langweilig fand und deshalb anfing zur Geige zu singen —, behauptet von sich, ihre Musik sei Lyrik, sei Sprache. Das Auf und Ab ihrer Geige und die ewig ausgeloteten Höhen ihrer Stimme gehen tatsächlich eine geheimnisvolle Symbiose ein, mit der sie Natur entwirft, auf daß andere sie hören können: ein schreiendes vielgeliebtes Kind, surrende Schnaken im Sommer, Vogelpfeifen, Wiehern und Meckern. Sie wird zur Ruferin, Schreierin und Schmeichlerin, zu einer, die sich verschluckt, hustet, nicht weiterweiß.

Iva Bittova ist, wie die Gruppe Zuby Nehty und das Duo Uschi Brüning/Simone Weissenfels, eine Performerin aus einem ehemaligen „Ostblockland“. Mehr Zusagen von Musikerinnen aus der Ex- DDR zu bekommen war den Veranstalterinnen nicht möglich. Ein Frauenfestival wird automatisch gleichgesetzt mit radikalem Feminismus, und da wird frau angeblich gelyncht, wenn sie Männer liebt. Auch Iva Bittovas scheue Frage „Sind Sie Feminist?“ nach ihrem Auftritt mit großem Ernst gestellt, war Ausdruck der Verwunderung, daß Männer im Zuschauerraum waren und nicht alle Frauen Lesben sind.

An der frechen Wahrheit, daß sie es doch sind — oder bestimmt gleich werden —, kam am Freitag, dem zweiten von vier Festivaltagen, niemand vorbei — es sei denn, die ZuhörerInnen waren im intensiven Weghören geübt oder verstehen Texte grundsätzlich nicht. Dann dürften sie allerdings mindestens sechs Sprachen nicht verstehen.

Abgerockt auf überhaupt nicht nostalgische Art hat „Unterrock“. Mit zwölf Jahren Verspätung konnten sie so herzhafte Sätze wie „Mach mal deine Schnauze auf“ oder „Ich ess' mein Bounty alleine“ rausschreien. Ein Revival einfachster Wut. Vor zwölf Jahren „Heterowelt, leck mich am Arsch“ gesungen zu haben, das hat noch was. Heute ist Lesbischsein dagegen ja geradezu in Mode. Die ersten dreißig Sekunden ihrer Uraltplatte konnten sogar herübergerettet werden in die Post-post-post-Musikavantgarde: hysterisches Gelächter und Gongschlag.

Ein nahtloser Anschluß für Magda Vogel mit ihrer Band „Unknown Mix“. Subtil in der Musik, die aus vielerlei Tönen und Klängen zusammengeliehen und in eigene Musikmuster gegossen wurde, sind ihre Texte die kleinen Diamanten, die daraufgelegt wurden. In Choralmanier wird nicht Dominus Deus, sondern die „Domina Dea“ besungen, werden die Zwangskorsetts der Frauendomestizierung aufgebrochen, wird daran erinnert, daß diejenigen, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, dazu verurteilt sind, sie zu wiederholen.

Wut, das Markenzeichen der Freitagsgruppen, war auch bei dem tschechischen Punk von „Zuby Nehty“ zu spüren. Sie retten den Punk in die Neunziger, wie Unterrock den kämpferischen Unterton der Feministinnen. Die Texte allerdings bleiben mir unerschlossen.

Selbst die subversive Verspieltheit der kanadischen Pianistin Marie Goyette paßte ins Programm. Sie spielt, was normalerweise nur außerhalb der Musik zu hören ist: In diesem Fall gibt sie Disco-Unterricht. Sie führt nicht vor, was in den siebziger Jahren an Musik gemacht wurde, sondern was und wie sie gehört wurde.

Während der erste Tag des Festivals noch nahe am Jazz, der zweite nahe am Rock war, gibt es für den dritten Tag des Festivals („Visible Music“) und den vierten („Ohraufführungen“) außer Metaphern keine Kategorie mehr. Weder U- noch E-Musik paßt, deshalb haben die Veranstalterinnen den Begriff Ü-Musik erfunden. Die letzten beiden Tage sind den tiefsten Tiefen und den weitesten Weiten dieser Art der Musik von Frauen geöffnet. Mit „sichtbarer Musik“ etwa ist nicht so sehr die Abstraktion gemeint, sondern die Bühnenpräsenz von Künstlerinnen wie Joelle Leandre, India Cooke, Pied de Poule. Sie erleichtert den Zugang zu ihrer Musik erheblich.

Und wie um die Lehre, die den ZuhörerInnen bei diesem Festival geboten wird, noch um einen Schwierigkeitsgrad zu steigern, werden am letzten Tag, neben einem neu entstehenden Musikerinnenquartett (mit, unter anderen, Lindsay Cooper und Maggie Nicols), Aufführungen der ältesten Komponistinnen Berlins, Grete von Zieritz und Alice Samter gespielt (außerdem: Tanz, Groteske und Theater). Das Festival am Ende gemocht zu haben gilt als bestandene Prüfung. Waltraud Schwab

„Visible Music“ heute ab 20.30 Uhr und „Ohraufführungen“ am Sonntag ab 19.30 Uhr im SO 36 in der Oranienstraße.