„Wenn die Kameras weg sind, fängt die Arbeit an“

■ Immigrantenpolitisches Forum betreut Opfer rassistischer Gewalt/ Überfallene gehen meist nicht zur Polizei/ Ehrenamtliche Arbeit wird jedoch kaum gewürdigt

Das Immigrantenpolitische Zentrum (IPF) ist ein Zusammenschluß von Immigranten und Flüchtlingen aus vielen Weltregionen. Der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung steht im Mittelpunkt der ausschließlich ehrenamtlichen Arbeit. Das IPF, das keinerlei staatliche Unterstützung erhält, dokumentiert die rassistische Gewalt, veranstaltet Seminare und Kongresse zu Rassismus in Deutschland und Europa und gibt eine Info-Zeitung heraus. Gegenwärtig wird ein Video-Film über das Thema Rassismus fertiggestellt. Außerdem bietet das IPF Sprachkurse für Flüchtlinge an.

taz: Wie hat sich eure Arbeit im letzten Jahr verändert?

Yonas E.: Früher haben wir auch bildungspolitische Veranstaltungen gemacht und Immigranten und Flüchtlinge informiert. Dafür haben wir jetzt kaum Zeit. Unsere Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf die Betreuung der Opfer von rassistischer Gewalt. Diese Arbeit braucht sehr viel Zeit, manchmal bis zu zwanzig Stunden pro Woche für ein Opfer. Wir geben menschlichen Beistand und sorgen für eine rechtliche und medizinische Betreuung.

Ihr habt beispielsweise dafür gesorgt, daß es in Wittenberge doch noch einen Prozeß gab, in dem die Täter verurteilt wurden, die unter anderen einen Namibier aus der vierten Etage eines Hauses geworfen hatten.

Wir haben die Opfer besucht, als sie ganz allein im Krankenhaus waren oder völlig isoliert und unter Schock in ihrer Unterkunft. Wir haben versucht, ihre Isolation zu brechen, haben zusammen mit örtlichen Gruppen Veranstaltungen gemacht. Wir haben eins der Opfer nach Berlin in die Charité geholt und haben auch die anderen Namibier betreut. Gesorgt haben wir auch dafür, daß eines der Opfer in Berlin einen Ausbildungsplatz und eine Wohnung bekommt.

Die Organisation, die ihn hierhergeholt hatte, wollte das Opfer eigentlich einfach nach Namibia abschieben. Interesse an einem Prozeß hatte keine Stelle und keine Behörde, denn dies hat ihnen Arbeit gemacht. Wir haben deswegen viel, viel Krach gemacht und uns auch unbeliebt gemacht.

Ihr beklagt, daß euch öffentliche Unterstützung fehlt?

Wie haben bei rassistischen Überfällen erfahren, daß die Journalisten und die Politiker weg sind, wenn die Sensation vorbei ist. Es gibt Politiker, die sich gerne mit den Opfern rassistischer Gewalt fotografieren lassen und das ganze fast pornografisieren, indem sie sich mit halbtoten Menschen fotografieren lassen. Wenn aber die Kameras weg sind, dann sind die Menschen ganz alleine. Dann fängt unsere Arbeit an. In erster Linie geben wir denen menschlichen Beistand, damit sie sehen, daß sich jemand um sie kümmert. Wir laden sie zu uns ein, vermitteln einen Rechtsanwalt oder medizinische Hilfe, auch Dolmetscher.

Welche Unterstützung kommt von den Behörden?

Von den meisten deutchen Institutionen oder Behörden kommt absolut keine Hilfe. Auch von den Politikern, die gegen Rassismus auftreten, kommt keine konkrete Hilfe. Gute Erfahrungen haben wir einzig mit der Berliner Ausländerbeauftragten Barbara John gemacht, die in einzelnen Fällen sehr viel Gefühl gezeigt hat, den Menschen geholfen hat und unsere Arbeit unterstützt hat. Die meisten angesprochenen Institutionen erklären sich unzuständig. Niemand fühlt sich zuständig für Menschen, die durch Überfälle verkrüppelt sind und im Krankenhaus liegen. Wir sagen uns dann, gut, es gibt kein Geld und keine Unterstützung, aber wir fangen dennoch mit unserer Arbeit an.

Wie reagieren Opfer von rassistichen Gewalttaten?

Die Opfer gehen nirgends hin, nicht zur Polizei, nicht zu den Behörden. Wenn es nicht ganz krass ist und es durch die Einlieferung ins Krankenhaus auch den Behörden bekannt wird, dann gehen sie nach Haus – egal, ob versucht wurde, sie vor die U-Bahn zu werfen, oder sie verprügelt worden sind. Sie stellen keine Anzeige, weil sie Angst haben, zu einer Behörde zu gehen. Sie befürchten Repressalien. Ich vermute, daß neunzig Prozent der Fälle nicht zur Anzeige bei der Polizei oder an die Öffentlichkeit kommen. Die Menschen bleiben in ihren Heimen und vergessen und verdrängen das Erlebnis.

Woher kommt die Angst vor deutschen Behörden?

Sie haben kein Vertrauen in die deutschen Behörden. Es gibt auch negative Erfahrungen mit der Polizei. Die Menschen sind nicht ernst genommen worden, als sie eine Anzeige stellen wollten oder ihre Probleme schilderten. Oder sie denken von vornherein, daß sie nicht ernst genommen werden. Es gibt auch den Fall, daß jemand seine Anzeige wieder zurückgezogen hat, weil er Angst hatte vor der Rache von Skins.

Gerade deshalb haben wir jetzt eine Opfergruppe gegründet, damit diese Menschen sich gegenseitig informieren und sich ermutigen. Wir hoffen, dadurch die Angst ein wenig abzubauen. Den Menschen tut es gut, daß andere da sind, die das gleiche wie sie erlebt haben. Außerdem kann man viele Informationen austauschen, Erfahrungen mit Gerichten oder mit den Medizinern. Diese gemeinsame Erfahrung stärkt die Leute. Deswegen wollen wir auch stärker in die Öffentlichkeit gehen, um auch andere Opfer zu ermutigen.

Immigrantenpolitisches Forum (IPF), Oranienstraße 159, Kreuzberg 61

Das Gespräch führte

Gerd Nowakowski