460.000 Berliner mit heißem Ofen

■ Richtig heizen spart Geld und schont die Umwelt/ Erst bei Glut die Tür schließen

Seine Großmutter stellte immer eine Kerze in den Ofen, damit der noch eine Stunde länger warm bleibt, wenn die Kohle schon verglüht ist. Seit der Wende gehen die Geschäfte des Kohlenhändlers Wolfgang Witte schlecht. Von seinen ehemals 2.000 Kunden beliefert er nur noch rund 650, denn Heizen mit Kohle ist umständlich und gilt als wenig umweltverträglich. Nichtsdestoweniger werden in den östlichen Altstadtbezirken wie Prenzlauer Berg und Friedrichshain noch immer mehr als zwei Drittel aller Wohnungen mit Kohle beheizt. Insgesamt gibt es in Berlin derzeit noch 460.000 Wohnungen mit Ofenheizungen. Im Winter sind sie die bedeutendste Quelle für die Schwefeldioxid- Verschmutzung der Luft. Wind drückt den Ruß vom Kamin direkt in die Hinterhöfe und Straßenschluchten hinunter. Dort sammeln sich die Schadstoffe an, mehr als zu erwarten wäre, sagt Klaus Kutzner, Leiter des Luftmeßnetzes der Umweltverwaltung.

Kann man auch umweltfreundlich heizen mit einem Kohleofen? Steinkohleöfen, in ihren Schadstoffemissionen noch ungünstiger als Braunkohleöfen, sind in Berlin nur zu etwa 10 Prozent vertreten. Für den in Berlin am häufigsten vorkommenden Kachelofen eignet sich als Brennstoff ausschließlich Braunkohle. 95 Prozent der Kachelöfen wurden über Jahre hinweg mit falschen Briketts beheizt, die in der Regel zu heiß werden. Irreparable Schäden sind die Folge: Ofentüren werden undicht, Roste brennen durch, Kamine bekommen Risse – effektives Heizen wird unmöglich.

Dennoch läßt sich beim Heizen mit Briketts für die Umwelt einiges tun. Schon beim Einkauf sollte darauf geachtet werden, schadstoffarme Kohle zu wählen – eine Prägung gibt darüber Aufschluß. Als schwefelarm gelten Briketts mit dem Namen „Union“ und „Rekord“. Ein Punkt am unteren Ende des Buchstaben „R“ verweist nach alten DDR-Richtlinien auf das Braunkohlegebiet Lausitz, das einzige mit schwefelarmer Kohle in der ehmaligen DDR. Die Braunkohleverordnung verpflichtet zwar auch den Kohlenhändler, schwefelarme Ware anzubieten, aber wer prüft schon die Kohlebündel nach, wenn sie erst einmal im Keller liegen.

Die Versuchung, mit Pappe und Papier zu heizen, mag verlockend sein, jedoch entsteht bei kunststoffbeschichteten Pappen während der Verbrennung Salzsäure. Die verschmutzt nicht nur die Umwelt, sondern greift auch den Ofen an. Eine zusätzliche und leicht vermeidbare Umweltbelastung ist es, Öfen als Müllschlucker oder als Sondermüllverbrennungsanlage zu mißbrauchen. Dioxine und andere gefährliche Schadstoffe werden freigesetzt, wenn zum Beispiel lackierte Bretter darin kokeln. In wenigen Jahren werden 20 Prozent des Anteils der insgesamt in Berlin entstehenden Dioxine aus den Kaminen der privaten Kohleöfen aufsteigen, schätzt Adolf Mehring, Luftreinhaltungsexperte bei der Senatsverwaltung Stadtentwicklung und Umweltschutz, die Lage ein.

Das Anmachholz sollte mit einem Stück Papier angezündet werden, die Kohleanzünder aus dem Geschäft verbrennen nicht vollständig, tragen so zu der Versottung des Kamins bei. Sobald das Holz lichterloh brennt, die Briketts darauflegen. Soll die Bude schnell warm werden, empfiehlt es sich, die Briketts zu zerkleinern. Erst wenn keine Flamme mehr aus dem Glutbett züngelt, darf die Ofentür geschlossen werden, sonst verbrennt die Kohle nicht vollständig. Schwarzes Schwefelgas wird frei, das nicht nur die Verrußung fördert, sondern auch die SO2-Emission ansteigen läßt. Die Schadstoffwerte ebenfalls in die Höhe schnellen läßt die weitverbreitete Sitte, Briketts in Zeitungspapier einzuwickeln, um die Glut bis zum nächsten Morgen zu retten.

Alle zwei Jahre muß der Ofen gereinigt werden. Flugasche und Ruß verstopfen die Züge. Ohne daß die Wohnung wärmer wird, steigt der Verbrauch an Kohle an.

Hartwig Berger (AL) beobachtet die Verdrängung der Kohleöfen mit gemischten Gefühlen. Die Kachelöfen „sind ein Stück Berliner Alltagskultur“, so Berger, und seien von der Ökobilanz her nicht so schlecht wie ihr Ruf, denn sie nutzten den Brennwert der Kohle gut aus. Außerdem seien sie auch im Verbrauch sparsam, weil nur bei Bedarf geheizt werde. Die negative Bilanz beim Schwefeldioxid bleibt bestehen, denn bei einem Kraftwerk können die Abgase mit Filtern gereinigt werden, bei den vielen tausend Kohleöfen ist das nicht möglich. Heizprobleme dieser Art kennt der Kohlenhändler Witte nicht mehr, seit 1964 hat er eine Zentralheizung. Stephan Elsemann