Wenn der Flop zum Job wird

Von Beruf Hochspringer: Die Schwierigkeiten des Profis Dietmar Mögenburg, den Sprung von der Matte in den Alltag zu schaffen  ■ Von Michaela Schießl

Das Augenpaar hinter der Tür des China Clubs in Köln ist zweifellos schlecht gelaunt. Mißmutig starrt es durchs Guckloch, zu prüfen, wer da, nachts um eins, Einlaß begehrt ins edle Etablissement. Ein kurzer Moment des Erkennens, dann kommt Bewegung in die versteinerte Miene des Gesichtskontrolleurs. Er bleckt die Zähne, die Tür fliegt auf, Hände werden zum Schütteln ausgefahren – herzlich, herzlich – es gilt, einen Promi zu begrüßen: „Didi, willkommen, lange nicht gesehen. Was möchtest du trinken? Geht auf's Haus, versteht sich.“

Fast wirkt der „Didi“ ein wenig beschämt ob der beflissenen Huldigung, obgleich er solche Sonderbehandlungen seit Jahren gewöhnt ist. Denn der hagere Zwei-Meter- Mann ist mehr als eine Lokalgröße: Dietmar Mögenburg, der Weltklasse-Hochspringer, ein Star des Sports. Einer, mit dem sich jeder PR-bewußte Wirt gerne Arm in Arm ablichten läßt, für die Tresen-Galerie.

Seit zwölf Jahren verdient das Ein-Mann-Unternehmen Mögenburg seine Brötchen auf der Matte. „Für mich war schon mit 16 klar: Der Flop ist mein Job.“ Wie ernst er den nahm, durfte die versammelte Hochsprung-Elite erstmals im August 1979 in Turin bestaunen, als der 17jährige Berufseinsteiger direkt in die Chefetage seiner Zunft hechtete: In 2,32 Meter Höhe gehörte der Europacup ihm. Nach diesem Start ließ sich das Jungtalent nicht einmal mehr vom Olympiaboykott in Moskau entmutigen. Keine Medaille? Dann eben der Weltrekord. Im Mai 1980 übersprang er in Rehlingen 2,35 Meter – und war fortan der Maßstab.

Er blieb es fast ein Jahrzehnt lang. Kein anderer vermochte ähnlich lange so konstant über 2,30 Meter springen, ungezählt die Übungssprünge, die Mögenburg seinem Körper zumuten konnte. „Es gibt schon Momente, wo man sich fragt: Was soll der Quatsch, jahrelang über eine Latte zu springen? Aber mal ehrlich, die meisten anderen Jobs sind auch nicht viel sinnvoller.“ Mit 25, da hat er schon mal davon geträumt, was ganz anderes zu machen. Etwa sein Architekturstudium fortsetzen, das er 1982 nach einem Semester geschmissen hat. „Damals spürte ich öfter ein leises, unerfülltes Sehnen.“ Doch immer wieder hat er die Gedanken an die Zukunft fortgewischt, der Hochsprung ließ ihn nicht los. Der Hochsprung? Der Erfolg. „Es ist einfach wunderbar, das machen zu dürfen, was man am besten kann.“ Solange man es kann.

Mögenburg konnte lange. Er wurde Olympiasieger, Weltrekordler, Europameister, fünfmal Hallen-Europameister, neunmal Deutscher Meister. So viel Erfolg ließ ihn zeitweilig das Risiko vergessen, das er mit 16 eingegangen war: die Wahrscheinlichkeit, mit Anfang Dreißig, wenn Otto Normalverbraucher die ersten zaghaften Erfolgserlebnisse im Beruf feiern kann, am Ende der Karriereleiter zu stehen. Denn Berufssportler sind Spekulanten. Ihr Kapital: der eigene Körper. Ein Geschäft, das immer nur ein Wechsel auf Zeit sein kann, eine Art Warentermingeschäft, stets bedroht durch den biologischen Verfall.

Seit drei Jahren wehrt sich Mögenburgs Biologie zunehmend gegen die Strapazen des Trainings, den Streß des Wettkampfes. Das Knie, das Sprunggelenk, die Achillessehne verweigern abwechselnd ihren Dienst. Nicht ohne Folgen. Bei der EM in Split reichte es nur für Platz vier, in Seoul erwischte Mögenburg, der Wettkampftyp, einen schlechten Tag (Platz sechs), die WM in Tokio lief ebenso schief. Desaströs gestaltete sich seine Olympiateilnahme in Barcelona im August 1992. Er scheiterte im Vorkampf – an 2,15 Meter. Wenige Wochen später, beim ISTAF in Berlin, packte er nach 2,20 Meter die Tasche und verschwand in den Katakomben des Olympiastadions. Auf der Pressetribüne nahm man derweil formlos Abschied vom Wunderspringer, der einst soviel schöne Zeilen hergegeben hatte. „Der Didi ist fertig“, beschlossen die Experten. „Der soll doch besser aufhören, statt sich hier zu blamieren wie Björn Borg.“

„Es ist schon eigenartig. Da hocken oft mittelmäßige Schreiber, die nie Spitze waren und nie Spitze werden, und fordern von anderen ewige Höchstform“, sagt Mögenburg. Ein langsames Abtreten wird einfach nicht geduldet, ist nicht heldenhaft genug. Oft bekommt er in letzter Zeit die Frage gestellt, wann er denn aufhöre. „Das empfinde ich meist als Beleidigung. Da kommen viele Neider aus ihren Löchern und fragen scheinheilig: Was kannst du denn noch außer Hochsprung? Und denken tun sie: Na los, wollen wir mal sehen, was wird aus dem großen Mögenburg.“

Unruhig rutscht der große Mögenburg in einem Kölner Restaurant auf seinem Stuhl herum. „Ein schwieriges Thema, das Aufhören, wirklich schwierig.“ Eigentlich will er nicht darüber nachdenken. Noch nicht. „Ich war so viel verletzt. Ohne Verletzung kann ich es nochmal schaffen. Bestimmt.“

Dietmar Mögenburg, der Kämpfer. „Nur mit dem Rücken zur Wand bin ich Spitze.“ Unvergessen, wie er 1985 in Köln sein eigenes Meeting rausriß. Er zog die kurzen Höschen an und konterte den kollektiven Schwächeanfall der Konkurrenz mit einem neuen Hallen-Weltrekord von 2,39 Meter. Legendär sein Auftritt in Los Angeles 1984: Eiskalt sah er zu, wie sich seine Kumpels bei 2,31 Meter verausgabten. Er selbst verzichtete – und übersprang als einziger 2,35 Meter. Royal Flush, Olympiasieg. „Pokerface“ nennt ihn die Konkurrenz respektvoll. Doch der Bluff klappt nicht immer. Bei der WM 1987 überreizte er, verspielte Silber und wurde Vierter. „Mein Gott, was das für 'ne Kohle kostet“, tobte sein damaliger Trainer Busse.

Mangelnde Kohle ist kaum der Hauptgrund für Mögenburgs Wille, weiterzumachen. Er jagte schon Sportwagen durch Köln- City, als seine Ex-Kommilitonen noch mit klapprigen Fahrrädern zur Vorlesung schepperten. Rund 10.000 Mark erhält ein Weltklassespringer pro Start bei einem großen Sportfest, Sieg- und Rekordprämien extra. Hinzu kommen Werbeverträge, Sponsoren, Autogrammstunden etc. Heute, nach zwölf Berufsjahren, besitzt der 30jährige Mögenburg ein Haus in Köln, zwei Autos, ein gut gefülltes Bankkonto und eine Menge guter Verbindungen. Finanziell könnte der Leistungsmensch Mögenburg trotz seines hohen Lebensstandards wohl locker ein paar Jahre ohne Arbeit überstehen, psychisch wohl kaum. „Nach der Saison komm ich mir vor wie ein Arbeitsloser.“ Dann spielt er mit seinen beiden Kindern, werkelt am Haus herum, trifft sich mit Freunden. Beteuert, das viele Reisen satt zu haben. Und wird unruhig: „Ich werde wirklich nervös, wenn ich zwei Wochen lang keinen Koffer gepackt habe.“

Seine Angst vor dem Ausstieg ist sicherlich auch die Angst, aus dem illustren Kreis der Luftikusse der Leichtathletik auszuscheiden. Aus dem introvertierten Menschen Mögenburg („Ich rede nicht so gerne“) wurde ein Weltreisender in Sachen Flop. „Ich fühle mich, wie Boris Becker das einmal gesagt hat: wie ein Kosmopolit.“ Für Deutschtümelei à la „Springen für Deutschland“ hat der Profi ebensowenig etwas übrig wie für die spartanische Badeschlappenmentalität vieler Sportler: „So asketisch zu leben, immer nur den Sport im Kopf, das wäre nichts für mich. Hochspringer sind Narzisse, wie die Bodybuilder, und zudem genußsüchtig. Weil der Hochsprung mehr erlaubt als andere Disziplinen.“

Die Akteure kosten es aus. Sagenumwoben die nächtlichen Saufgelage der schwerelosen Schwerenöter in den ortsansässigen Diskotheken. Immer wieder gern gesehen die Show der Überflieger im Stadion: Thränhardt, der blonde Macho, der vor dem Wettkampf noch schnell eine raucht. Sjöberg, der Schönling, Powarnitzin, der Clown, Sotomayor, der fidele Aufrechte, Mögenburg, der Spieler, beklatscht und gefeiert in den großen Stadien der Welt.

„Es ist schwer zu ertragen, wenn der Applaus nicht mehr dir gilt“, sagt Mögenburg. „Man will es einfach nicht wahrhaben. Innerlich nicht und nicht körperlich. Doch irgendwann ist der Gedanke ans Aufhören wie eine Erlösung.“ Verlockend geradezu, nicht mehr tagtäglich mitzukriegen, daß man immer weniger gefragt ist. „Das Telefon läutet schon bedeutend weniger als früher“, sagt Mögenburg, die Angebote werden rar. Härtere Töne muß er sich beim Feilschen um Antrittsprämien anhören: „Nein, Didi, mehr ist wirklich nicht drin, du springst einfach nicht hoch genug.“

Neuerdings stellen sich sogar alte Freundschaften als wertlos heraus. Mögenburgs Freund, Carlo Thränhardt, war sich nicht zu schade, in Barcelona den Brutus zu spielen, für ein paar Silberlinge. In einer Kolumne für die Kölner Boulevardzeitung Express bezichtigte er den gescheiterten Didi, ihm, dem Besseren, die Olympiachance genommen zu haben. Zu Unrecht, denn Mögenburg hatte sich ganz offiziell qualifiziert, Thränhardt nicht. Voller Häme blies Carlo zum Abgesang des Rivalen, der immer die Nummer eins war – vor ihm: „Didi sucht 'nen starken Abgang.“ Thränhardt selbst hat seinen gefunden: Neben seinem Denunzianten-Gastspiel beim Express lebt er ganz lukrativ von der Vermarktung seiner „Freundschaft“ mit Boris Becker. Ein Stil, den Mögenburg nicht liebt. Er sucht, noch ziemlich wahllos, nach einer anständigen Alternative. „Das mit der Architektur reizt mich noch immer.“ Doch er, der 30jährige Star, will nicht mit zehn Jahre Jüngeren die Schulbank drücken. „Vielleicht steige ich bei meiner Frau ein, die ist Innenarchitektin.“ Überhaupt interessieren ihn Immobilien: „Vielleicht werde ich auch Makler. Oder irgendwas mit Marketing.“ Ein Job eben, der keiner langwierigen Ausbildung bedarf und wo der berühmte Name Türen öffnen kann. Irgendwas halbwegs Lukratives.

Bis er den gefunden hat, will er noch hochspringen. Aus Mangel an Alternativen und mit der vagen Hoffnung, noch einmal ganz hoch hinaus zu kommen. „Kein Job ist aufregender“, sagt er. „Soll ich etwa Bäcker werden?“ Er zeigt auf eine Zeitungsannonce. „Das Bäckerhandwerk – ein feiner Job. Da loben die, daß man morgens um drei anfängt und um elf schon frei hat.

Um Himmels Willen, das ist doch furchtbar!“ Entsetzt ob der für ihn grauenvollen Vorstellung lehnt er sich zurück. Weit ist der Weg der Metamorphose vom Star zum einfachen Menschen. Nein, bereuen tut er es nicht, sich damals für den Sport entschieden zu haben, statt für einen bürgerlichen Beruf. „Der Sport hat mir unendlich viel gebracht.“ Vielleicht kann er deshalb nicht von ihm lassen. Auch in der Arena pflegen Hochspringer erst dann aufzuhören, wenn sie gescheitert sind. Am Ende jedes Wettkampfes steht die Niederlage, selbst für den Sieger. Ob Goldmedaille oder Weltrekord, die Latte wird so lange höher gelegt, bis sie zum letzten Mal gerissen, der letzte Versuch mißglückt ist. Dietmar Mögenburg ist es gewohnt, nach dem Unmöglichen zu streben und daran zu scheitern. „Ich weiß, daß ich eigentlich keine Chance mehr habe. Aber ich muß es noch einmal versuchen.“

Ein Widerspruch? „Ja, was?“ sagt Mögenburg und zuckt die Schultern.