„Wie bekloppt können Journalisten noch sein?“

Propaganda, Zensur und Manipulation in den ehemalig jugoslawischen Medien  ■ Von Ursula Ruston

„Wir können so weitermachen, unsere voneinander existierenden Bilder ständig zu erneuern und zu spiegeln, endlos und voller Haß wie in einem Spiegelkabinett. Ergebnis wäre eine endlose, blutige Agonie, das Eingesperrtsein in ein Spiegelkabinett, das wir selbst gebaut haben und aus dem wir jetzt nicht mehr herausfinden.“

Das stand am 13. November 1982 in der Jerusalem Post, und der Autor, Michael Elkins, beschrieb damit die Problematik der Berichterstattung aus Beirut während und nach der israelischen Bombardierung, insbesondere aber die kriegerische Haltung der Leser auf beiden Seiten des Grabens.

Der Machtkampf, der im früheren Jugoslawien nach dem Auseinanderbrechen der föderalen Struktur begonnen hat, hat nicht nur zu blutigen Kämpfen geführt, sondern auch zur Entwicklung einer kriegerischen Haltung, die so leicht nicht mehr abzulegen ist.

Unter denen, die über die Situation in ihrer zerfallenden Heimat schreiben, sind auch einige prominente Journalisten, die sich am 8. und 9. August dieses Jahres unter der Schirmherrschaft des Europäischen Medieninstituts in Düsseldorf trafen, um ihre Kritik an der Rolle des eigenen Berufsstandes in dieser immer auswegloser erscheinenden Krise zu diskutieren. Es handelte sich bei ihnen, wohlgemerkt, um Dissidenten. Während ihre Situation sich von Republik zu Republik unterscheidet, waren sie sich doch darin einig, daß für alle Herren, die zur Zeit ihre Macht in Serbien, Montenegro, Kroatien oder Bosnien zu erweitern und zu konsolidieren versuchen, die Kontrolle der elektronischen und Printmedien oberstes politisches Kriegsziel ist. Dabei hat die Erblast des kommunistischen Systems den neuen politischen Herren die Aneignung des Kommandos über die monopolisierten Massenmedien und Kaltstellung all jener Redaktionen und Reporter erleichtert, deren allzu kritischer Geist ihnen nicht in den Kram paßt.

Im Spiegelkabinett des früheren Jugoslawiens spiegeln sich nicht nur individuelle politische Identitäten, sondern auch ethnische und religiöse Zuordnungen – die immer schon politische Konstruktionen waren und sich aus den besonderen und höchst komplexen Machtstrukturen des alten Jugoslawiens ergeben hatten. Dort waren nämlich sowohl die Beziehungen der Republiken untereinander als auch die Befehlsstrukturen kommunistischer Politik durch die Definition der „sechs Nationen“ (Serben, Kroaten, bosnische Moslems, Mazedonier, Slowenen und Montenegriner) bestimmt.

Diese Definitionen waren Teil eines Kontrollsystems, das im Prozeß seines Zerfalls in jeder Republik neue und ehrgeizige Führer hervorbrachte, die sich ihre politische Klientel jetzt durch die gewaltsame Redefinition des ethnischen, religiösen und damit politischen Charakters der „Nation“ schaffen, als deren Oberhaupt sie sich natürlich selbst empfehlen.

Ebensowenig wie die Bürger der jeweiligen Regionen können auch die Journalisten diesem neonationalistischen Wortkrieg entkommen. Schlimmer noch: Da ihr Geschäft das Worte-Machen ist, haben sich viele von bestimmten Fraktionen in Dienst nehmen lassen; wer sich einer politischen Seite aufgrund der eigenen, zufälligen ethnischen Zugehörigkeit anzuschließen weigert, wird gezielt von politischen und bewaffneten Einheiten attackiert.

Nach Auskunft von Nenad Pejic befinden sich Journalisten, die sich in den vom Krieg zerrissenen Republiken als „neutrale Beobachter“ definieren, in einem „Niemandsland, ohne das Recht, in ihrem Beruf unabhängig zu arbeiten“. In Bosnien, wo er bis Mai 1992 Direktor des Fernsehsenders Sarajevo TV war, kamen, so Pejic weiter, Zensurforderungen von beiden Seiten: von unten, d.h. einer Bevölkerung, die sich bereits entlang ethnischer Definitionen voneinander hatte trennen lassen, und von oben, d.h. den Politikern der drei „ethnischen“ Parteien (serbisch, kroatisch, moslemisch), die allesamt versuchten, die Medien für „ihre Sache“ zu rekrutieren. Zwar beschuldigte er damit alle politischen Parteien Bosniens (wobei nur die serbischen Einheiten stark genug waren, um Sendeanlagen entweder zu zerstören oder zu übernehmen). Aber er gestand zu, daß, trotz aller Dementis des bosnischen Serbenführers Radovan Karadžić, der Hauptangriff auf die Medien Bosniens von Belgrad ausgeht. (Ein Interview mit Nenad Pejic findet sich auf den Index-Seiten der taz vom 27.6.1992 – Anm. U.R.)

Journalisten aus Belgrad, unter ihnen Stevan Niksic von der Wochenzeitung Nin und Rade Radovanovic, Vorsitzender der unabhängigen Schriftstellergewerkschaft Serbiens, stimmten der Analyse zu: in der Tat trügen Journalisten, die sich der regierungspolitischen Dämonisierung aller Nicht- Serben unterwerfen, Mitschuld an dem Blutvergießen und dem daraus resultierenden Haß. Sie betonten jedoch auch die schier unlösbaren – und wachsenden – Probleme, mit denen dissidentische Journalisten im Kampf gegen die von der Milošević-Regierung ausgehende Kontrolle und Zensur konfrontiert sind.

„Man muß sehen, daß in Serbien die Regierung alles kontrolliert, das heißt, daß die staatlichen Medien automatisch Regierungsmedien sind. Das macht aus den Medien undemokratische Institutionen“, sagte Radovanovic. Ihm zufolge hat die Milošević-Regierung in Serbien Medien geschaffen, die nur noch ein Sprachrohr der Regierung sind; das von der Regierung eingesetzte Komitee zur staatlichen Medienkontrolle diktiert im Endeffekt die gesamte redaktionelle Politik. „So, wie der Krieg in Serbien Politik mit anderen Mitteln ist, so sind die landesweit verbreiteten Print- und elektronischen Medien Serbiens ganz und gar Teil der Kriegsmaschine. Journalisten spielen dort nur noch die Rolle von Söldnern. Ihre Berichterstattung vereinfacht in furchtbarer Weise; alle Kriegsverbrechen, egal auf welcher Seite, werden für die Regierungspolitik benutzt. Die serbische Bevölkerung ist felsenfest davon überzeugt, daß man wieder gegen die kroatische ,Ustascha‘ kämpfen muß, die nichts anderes im Sinn habe, als die serbische ,Nation‘ zu zerstören. Durch den Krieg in Bosnien ist es so weit gekommen, daß alle Moslems als Mudschaheddin gesehen werden, die vom Iran gesteuert sind.“

Petar Lukovic arbeitet bei der kritischen Wochenzeitung Vreme, die für ihre Berichterstattung von führenden Mitgliedern der serbischen Regierung des öfteren schon öffentlich kritisiert wurde. Er ist überzeugt, daß die Kooperation der Journalisten mit den Kriegszielen der Regierung in einer Tragödie enden wird.

„Ich lebe in einem Land, in dem der Haß Normalität ist. Das Ausmaß des Hasses, der durch die staatliche Propagandamaschine erzeugt wird, wird schreckliche Folgen für eine neue Generation von Serben haben, die der Ansicht sind, die ganze Welt wolle sie als Nation vernichten. Der Krieg wird nicht nur Tote und Verwundete kosten, er wird auch die Mentalität der Menschen zerstören.“ Er betonte, daß die große Unwissenheit über den wirklichen Charakter des Konflikts im früheren Jugoslawien unvermeidlich war, wenn man die niedrige Alphabetisierungsrate in den ländlichen Regionen des Landes bedenkt, aber auch die große Leserschaft der staatlichen Tageszeitung Politika und die generelle Abhängigkeit vom extrem zensierten und monopolistischen Belgrader Fernsehen. Die dringende, wenn auch schwierige Änderung dieser manipulativen Mediensituation hatte daher für alle in Düsseldorf versammelten Journalisten höchste Priorität.

Miodrag Perovis, der Chefredakteur der hochangesehenen Wochenzeitung Monitor, Montenegros einziger Publikation außerhalb staatlicher Kontrolle, meint, daß die Bevölkerung dieses Rumpfjugoslawiens jenseits demokratischer Strukturen und in einer Kultur des Zensierens lebe. Sein Vorschlag an die Europäische Gemeinschaft lautete daher, sich lieber auf die Reform der Medien zu konzentrieren als über militärische Interventionen nachzudenken. Sie könnten, da es keinerlei erkennbare politische Zielrichtung dabei gäbe, nur mißlingen.

Alle in Düsseldorf anwesenden Journalisten waren sich einig, daß es für die Probleme, mit denen sie in den verschiedenen Republiken konfrontiert sind, durchaus konkrete Lösungen gibt. Der wichtigste Schritt in diese Richtung wäre die Wiederherstellung der Verbindungen zwischen den Republiken. Die Sanktionen der UN haben nur zu den Schwierigkeiten beigetragen, die man mit dem Sammeln und Verbreiten verläßlicher Nachrichten ohnehin schon hat. Zwischen Serbien/Montenegro und Kroatien/Slowenien kann man weder reisen noch telefonieren, und die einzige noch mögliche Kommunikation – nämlich Berichte an eine Agentur in London zu faxen, die sie dann an die Kollegen in anderen Republiken zurückfaxt – bedeutet einen Bruch der Sanktionen. Die Sanktionen haben deshalb die jeweiligen Machthaber in „Jugoslawien“ und Kroatien gestärkt und einen genuinen politischen Pluralismus eher verhindert. Sie treffen die vom Staat unabhängig arbeitenden Medien wie beispielsweise Vreme in Belgrad und Monitor in Montenegro sogar besonders hart, und das bereits bestehende wirtschaftliche Gefälle zwischen ihnen und den staatlichen Medien wird noch verstärkt.

Der Direktor des mazedonischen Radio- und Fernsehsenders, Slobodan Casule, war der Ansicht, daß die internationale Verwirrung angesichts der Krise in Ex-Jugoslawien diese Krise nur noch verschärft habe. Da die Europäische Gemeinschaft Mazedoniens Unabhängigkeit nicht anerkannt hat, ist mazedonischen Journalisten keine Mitgliedschaft in einer internationalen Medienorganisation möglich. Dies hat ihnen, da sie ja nur einer gewissermaßen „inoffiziellen“ Nation angehörten, das Reisen unendlich erschwert. Slobodan Casule bezeichnete sich als „Vertreter einer aussterbenden Spezies“. Noch sei er Direktor eines „unabhängigen Massenmediums“ mit Zugang zu internationalen Nachrichtenorganisationen und in der Lage, Berichte von allen anderen Republiken zu übertragen. Aber ihm drohten dieselben Probleme wie in Bosnien, wenn sich aus dem existierenden Machtvakuum in Mazedonien nichts anderes als der nächste Krieg ergibt. Einerseits sei die Macht gleichmäßig zwischen verschiedenen politischen Gruppierungen verteilt, so daß keine die absolute Kontrolle über die Medien für sich beanspruchen kann. Andererseits versuchten alle Gruppierungen sie zu benutzen, um den Machtkampf endlich für sich zu entscheiden. Die Unabhängigkeit seines Senders habe mehr zu tun mit der existierenden Patt-Situation als mit irgendeiner gesetzlichen oder gar verfassungsmäßigen Garantie von Unabhängigkeit. „Wir überleben“, so sagte er, „weil es keinen politischen Konsens und damit keine neue Kontrollstruktur gibt. Es gibt in Mazedonien keine Wirtschaft und keine etablierte politische Struktur. Die einzige Machtbasis hier sind die Medien.“

Eine These Casules lautete, daß im serbisch geführten „Jugoslawien“ – wie auch in Kroatien – Journalisten dazu benutzt würden, militärische Aktionen vorzubereiten, indem sie eine Atmosphäre interethnischer Spannungen und gegenseitigen Mißtrauens erzeugten. Nicht selten würden völlig unsinnige Berichte verbreitet. Casule illustrierte dies mit einem Beispiel. Anfang des Jahres berichteten die staatlichen Medien Belgrads von einem Ort in Mazedonien, dessen Bewohner mit den Knochen serbischer Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg Fußball spielten. Man schickte daraufhin Reporter des mazedonischen Fernsehens los, die Nachricht zu überprüfen. Zurück kamen sie mit der Antwort eines Arztes aus Skopje: „Wie bekloppt können Journalisten noch sein? Was glaubt ihr, wie man die Nationalität eines Knochens feststellt?“ So grotesk das Ereignis selbst scheinen mag, war es doch der Auftakt einer Propagandaoffensive, die eine objektive Berichterstattung in der Republik wesentlich erschwerte.

Den Kampf um die Informationskontrolle bezeichnete auch Casule als einen wichtigen Aspekt militärischer Strategie. Die „Blockade“ des mazedonischen Fernsehens durch Serbien wird zur Zeit dadurch erreicht, daß der einzige nach Südserbien hineinreichende Sender von 42 Sendern „umstellt“ ist, die lediglich „Belgrad“ senden.

Casules Auffassungen wurden auch von Velibor Covic bestätigt, einem früheren Redakteur der panjugoslawischen Arbeitsgemeinschaft aller Fernsehsender, YUTEL. Zwei Tage vor seiner Abreise nach Düsseldorf war auf seine Wohnung in Podgorica (früher Titograd) ein Bombenanschlag verübt worden. „Das war der Preis für meine Mitarbeit bei YUTEL“, sagte er. Nach Übertragungen vom Krieg in Bosnien wurde YUTEL von den serbischen Staatsmedien beschuldigt, „Propaganda im Stil von Goebbels“ zu verbreiten. Für Covic ist klar, daß politische Veränderungen nur durch die Medien erreicht werden könnten, die jedoch sowohl von „Jugoslawien“ als auch von Kroatien durch staatliche Frequenzvergabe kontrolliert werden. Er rief die internationale Staatengemeinschaft dazu auf, durch Druck auf die Regierungen der Republiken diese staatliche Frequenzkontrolle beenden zu helfen.

Die meisten Journalisten waren

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der Meinung, daß die internationale Staatengemeinschaft bisher darin versagt hat, eine demokratische Entwicklung durch die Unterstützung unabhängiger und pluralistischer Medien zu fördern; teilweise wohl auch deshalb, weil die Schwierigkeiten mit objektiver Berichterstattung auch die ausländischen Medien betreffen. Ein Diskussionsteilnehmer vermutete, daß die ausländischen – und besonders die britischen – Medien durch ihren Fetisch der Ausgewogenheit den Blick für die Verhältnisse verloren haben. Allerdings räumte er ein, daß „die Benennung des Aggressors Journalisten in eine politische Diskussion hineinzieht, in der sie schnell Teil der Propagandamaschine werden können“.

Stevan Niksic von der Zeitung Nin aus Belgrad meinte, daß viele ausländische Presseberichte den Begriff „ethnische Säuberungen“ durchaus tendenziös gebrauchen. Der Mangel an Berichten auch über die Leiden serbischer Flüchtlinge oder die Verbrechen kroatischer und moslemischer Einheiten birgt für ihn die Gefahr, anstelle einer rationalen Analyse nur die Dämonisierung alles Serbischen zu leisten.

Ervin Miharcic von der angesehenen Wochenzeitung Mladina in Ljubljana blieb die Erwähnung einer Tatsache überlassen, die alle regionalen und internationalen Journalisten nur mit Scham erfüllen konnte, nämlich das allgemeine Schweigen, mit dem sie auf die Unterdrückung der Kosovo-Albaner durch den serbischen Präsidenten Milošević in den achtziger Jahren reagiert hatten. Die Journalisten, so Miharcic, die heute den Verlust der Meinungsfreiheit in den Medien des ehemaligen Jugoslawiens beklagen, hätten gut daran getan, damals zu protestieren, als „die erste Saat der faschistischen Unterdrückung der Medien durch Milošević im Kosovo gesät wurde. Hunderte von Albanern sind damals von serbischen Soldaten getötet und verletzt worden. In diesem Augenblick zeichnete sich unsere Zukunft am Horizont ab. Denn Milošević hat seine Macht nicht nur auf dem Ausbau totalitärer Strukturen begründet, sondern ebensosehr auf einem durch Propaganda und Lügen verstärkten antialbanischen Nationalismus der serbischen Bevölkerung.“

Ursula Ruston ist Europa-Redakteurin bei Index on Censorship. Für weiterführende Informationen steht im Europäischen Medieninstitut, Düsseldorf (Kaistraße 13, 4000 Düsseldorf; FAX 0211-9010456) Nenand Pejic zur Verfügung.