■ Aus polnischer Sicht
: Befreiung von der paradiesischen Freiheit

Die letzten Jahre des Kommunismus bedeuteten für die Intellektuellen in den weniger orthodoxen Ländern des Ostblocks eine paradiesische Freiheit: Man durfte fast alles, und der Verzehr der verbotenen Früchte war mit Verbannung in den zweiten (Emigration) oder dritten (innere Emigration, Samizdat) Umlauf bestraft. Man hatte einen Feind, der schon nicht mehr allzu gefährlich, nichtsdestotrotz ekelhaft war und die Welt der ethischen und ästhetischen Werte wunderbar polarisierte. Alle Augen und Ohren waren auf die Gewissen der Nationen gerichtet. Wenn man sehr unterdrückt war, ging man in die Kirche und fand dort auch einen klaren Verbündeten.

Leider wurden die Intellektuellen von dieser Freiheit befreit und müssen seitdem ein schwieriges Dasein führen. Kaum jemanden interessieren moralische, politische und sonst welche Ansichten der Schriftsteller und Künstler. Die Helden von gestern stellen heute nur ein Hindernis dar, wenn die Helden von heute ein Land teilen wollen (der große Vaclav und der kleine Vaclav). Ihre Meinung zur Welt, Menschheit und Europa – vielleicht deswegen, weil so richtig und unwiderlegbar – will niemand mehr hören.

Der Frust der Beraubten ist groß – nicht nur verloren sie ihren Feind und das Publikum: Zuerst sind sie ihrer paradiesischen Freiheit entblößt worden, und dann hat sich das Wunder der sanften, gewaltlosen Revolutionen im Zeichen der Brüderlichkeit als falscher Mythos erwiesen. Die letzte Lösung der Französischen Revolution, an die die ehemaligen Untertanen des Totalitarismus noch glauben, ist die Gleichheit, und für die werden sie alles mögliche tun: streiken, demonstrieren, protestieren; sie wollen doch so schnell wie möglich alles haben, was die im Westen haben. Man hat doch Jahrzehnte gelitten und heldenhaft gekämpft gegen den Feind der Menschheit, man hat also Anspruch auf den gleichen Wohlstand wie diese Feiglinge und Fettärsche im Westen.

Und die armen Schweine in Afrika und woanders in der Welt? Die sollen doch warten, erst Europa und dann der Rest; oder am liebsten an Aids und Hunger krepieren, weil sie sonst alle Ressourcen unserer gemeinsamen Welt verbrauchen. Und wir wollen doch bessere Autos fahren und unsere Ferien in der Karibik verbringen!

Was dein ist, ist auch mein, und was mein ist – weg mit den Pfoten! Piotr Olszowka