Sattsam bekannte Klischees

■ betr.: "Arbeitertöchter erforschen ihresgleichen", taz vom 20.10.92

betr.: „Arbeitertöchter erforschen ihresgleichen“,

taz vom 20.10.92

Der Artikel übermittelt eine ganze Reihe mittlerweile sattsam bekannter Klischees über Arbeitertöchter an den Hochschulen. [...] Ihr Weltbild erlaubt der Autorin anscheinend, nur bestimmte, in ihre Vorstellung, ihre Wahrnehmung passende Aspekte der Tagung aufzunehmen.

1.Schon der Titel des Workshops wurde falsch wiedergegeben. „Arbeitertöchter auf dem Wege zur Individualisierung?“ Gerade dieses Fragezeichen am Ende des Titels fehlte in dem Artikel und ist gleichzeitig grundlegend zum Verständnis der gesamten erörterten Thematik. Die allseits diskutierte These der Individualisierung – das heißt, das Individuum wird in seiner Lebensbiographie nur noch wenig von der Klassenzugehörigkeit und Traditionen beeinflußt – soll durch die Lebensverläufe von Arbeitertöchtern in Frage gestellt werden. Arbeitertöchter an den Hochschulen müssen auf der einen Seite als Einzelkämpferinnen in einer „bürgerlichen Welt“ ihr Studium bewältigen. Sie sind auf der anderen Seite aber trotzdem nicht losgelöst von ihren Herkunftserfahrungen. Diese Widersprüchlichkeit kann sich in Krisen niederschlagen, wie das Beispiel Wela zeigt, birgt aber auch ein Kritikpotential an der gesellschaftlichen Wirklichkeit in sich. Dieses Kritikpotential kann der Ausgangspunkt zu einem eigenständigen Selbstverständnis werden. Keineswegs kommen, wie in diesem Artikel behauptet, die Arbeitertöchter „auf dem eigenen und auf dem fremden Parkett ins Schleudern“.

2.Ein Beispiel dieses kritischen Potentials ist die Aussage der früheren Schlosserin, jetzt Studentin, die in dem Artikel nur verkürzt wiedergegeben wurde. Die Kernaussage dieser Studentin bezog sich auf das Konzept der Individualisierung. Sie erfuhr in ihrem Alltag in der Fabrik einen größeren Freiraum zur individuellen Entfaltung als an der Universität, in der Individualität als Norm gilt. Diese Norm „Individualität“ fördert jedoch nicht individuelles Verhalten, sondern eher individualistisches, das heißt von anderen vollkommen losgelöstes Verhalten.

3.Als Fazit zieht die Autorin das Zitat einer Ingenierin „Ich bin Ingenieurin geworden, weil ich dachte: Dafür reicht meine Sprache noch aus. Für die Gesellschaftswissenschaften reicht's nicht mehr“. Dies geht nun vollkommen an der Wirklichkeit vorbei. Arbeitertöchter studieren eher Sozial- und Gesellschaftswissenschaften als Ingenieurwissenschaften. Darüberhinaus wirkt dieses Zitat diskriminierend, da es das Klischee der sprachlich inkompetenten Arbeitertochter festigt.

4.[...] Eine ganze Reihe der verwendeten Begriffe ist schlichtweg abwertend, zum Beispiel „Töchter der Malocher“. Im übrigen erscheint uns der Begriff „Objekt“ der Forschung vollkommen fehl am Platze. Gerade Frauenforscherinnen wehren sich gegen diese Art des Wissenschaftsverständnisses. [...] Hilde Theobald und Anita Fürstenberg von dem Projekttutorium der FU Berlin „ArbeiterInnentöchter an der Hochschule“