Traditionen feministischer Wissenschaft

■ Feministische Theoriegeschichte und ihre Brüche

Seit zwanzig Jahren zieht es sich durch die Diskussionen feministischer Theorie: Das „andere“ Geschlecht. Bei Luce Irigaray ist die Frau „nicht eins“ und gerät so in Opposition zum differenzvernichtenden Prinzip des Phallus. In anderem Kontext hat sie, ausgeschlossen aus patriarchaler Herrschaft, ein unmittelbares Verhältnis zur Natur. Der rebellische Ton, in dem die utopischen Potentiale solcher Bilder beschworen werden, kann nicht vergessen machen, daß sie alles andere als neu sind: Für männliche Denker war „die Frau“ jahrhundertelang mal Hoffnungsträgerin, mal Verderberin, ausnahmslos jedoch das andere der herrschenden Ordnung.

Die „verführerische Idee von Frauenforschung als der ganz anderen Wissenschaft ... drückt eher das Selbst-Ideal der Frauenforschung aus als die Realität“, kritisieren Gudrun-Axeli Knapp und Angelika Wetterer im Vorwort des von ihnen herausgegebenen Bandes „Traditionen Brüche“. Charakteristisch für feministische Theorie sei weniger die „Radikalität von Zäsuren“ als die „widerständige und kreative Aneignung und Verknüpfung von Traditionen“. Auf den Spuren dieser Auseinandersetzung diskutiert Carol Hagemann-White zunächst Simone de Beauvoirs „kreative“ und „kritische“ Aneignung von Sartres existentialistischer Philosophie, in einem zweiten Schritt ihre Rezeption in der neueren feministischen Diskussion: Indem die Autorin von „Le deuxième sexe“ Sartres Freiheitsgedanken aufgreife, verweise sie auf das wichtige Moment ethischer Entscheidungen – und liefere eine „philosophische Grundlegung der Selbsterfahrungsgruppe“. Zugleich aber arbeite sie den spezifischen Konflikt der Frau heraus, die sich – nach existentialistischem Credo – als Subjekt wählen soll, während sie vom Mann als Objekt gesetzt wird. Daß diese Komplexität in der Beauvoir-Rezeption durch die neue Frauenbewegung nicht immer erfaßt werde, erkläre manche theoretische Sackgasse. Hagemann- Whites Plädoyer gilt dabei gerade auch einer Weiterentwicklung der teils überholten theoretischen Konzepte Beauvoirs.

Auf der Suche nach der „anderen“ Wissenschaft stößt feministische Theorienbildung auch auf ihre Grenzen: Wissensproduktion bewegt sich – so Ruth Seifert – „notwendig in der Sprache und das heißt innerhalb eines Systems symbolischer Repräsentationen“. Die Forscherin, die Sprache und Identität nicht verlieren will, müsse sich ihrer unvermeidlichen Eingebundenheit in patriarchalische Denkmuster stellen. Als geeignetes Instrumentarium empfiehlt Seifert die Foucaultsche Diskursanalayse. Bereichert um eine weibliche Perspektive erlaube sie rationale Dekonstruktion patriarchaler Konzepte wie „Rationalität“: den „diskursiven Guerillakrieg“.

Diesen empfehlen auch Regine Gildemeister und Angelika Wetterer. Sie weisen auf einen fehlenden Traditionsbruch hin: Auch in der feministischen Forschung werde übersehen, daß Geschlechterdifferenzierung ein soziales Konstrukt sei. Selbst wo zwischen biologischer und sozialer Komponente (sex und gender) unterschieden werde, sei der Biologismus, der der Annahme überhistorischer Zweigeschlechtlichkeit zugrundeliege, nur verschoben. Die Autorinnen verdeutlichen die herrschaftsstabilisierenden Funktionen dieses binären Konzepts und stellen ihm neuere Ansätze von Garfinkel und Kessler/McKenna gegenüber, in denen die Herstellung von Geschlecht in all seinen Komponenten als interaktiver sozialer Prozeß beschrieben wird.

Die Grenzen feministischer Theorie kommen auch dort zum Vorschein, wo sie sich mit dem Aspekt der „Geschichtsschreibung“ befaßt. So liefern Frigga Haug und Kornelia Hauser in ihrem Beitrag zu „marxistischen Theorien und feministischem Standpunkt“ letztlich wenig mehr als eine Darstellung des eigenen Konzepts, das sich vom traditionellen Marxismus methodisch durch die Betonung von Erfahrung, inhaltlich durch Produktivitätskritik abgrenzt. Und Regina Becker- Schmidts Auseinandersetzung mit der kritischen Theorie verweist zwar auf die Brauchbarkeit methodischer Konzepte und Kategorien zu feministischen Zwecken, berichtet aber nicht von der feministischen Rezeption Horkheimers und Adornos. Eine Diskussion lehnt sie mit dem pauschalen Hinweis auf den „androzentrischen“ (männerzentrierten) Charakter ab. Daß Horkheimer und Adorno mit der „Dialektik der Aufklärung“ einen der meist rezipierten Versuche vorgelegt haben, den Zusammenhang von Subjektkonstitution und Ausgrenzung anderer zu beschreiben, fällt unter den Tisch.

Bedauerlich bleibt, daß die Absicht des Bandes, feministische Diskurse hinsichtlich ihrer eingestandenen und heimlichen Wurzeln zu befragen, nicht konsequenter umgesetzt wurde. Daß auch Feministinnen Methodenstreits austragen und bereit sind, für die eigenen Traditionen zu fechten, ist bekannt – spannend wird der Band dort, wo die „eigenen“ feministischen Diskurse zum Gegenstand der Untersuchung werden. Claudia Breger

Gudrun Axeli-Knapp/Angelika Wetterer (hg): „Traditionen Brüche“. Entwicklungen feministischer Theorie (Forum Frauenforschung Bd. 6), Freiburg, Core-Verlag, 1992, 325 S., 30DM