Ein Flickenteppich aus guten Absichten

Was für ein Außenpolitiker wäre der nicht-gediente Bill Clinton als Präsident der USA? Als Hauptrichtung schält sich die Zurückdrängung des Militärs heraus  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Es war einer der größten Lacherfolge, die George Bush auf dem republikanischen Parteitag erzielte. Bill Clintons Erfahrung in der Außenpolitik, so mokierte sich der Präsident, beschränke sich „auf das Frühstück im Internationalen Haus der Eierkuchen“. In der Halle ertönte zustimmendes Gejohle. Nun weiß allerdings jeder Republikaner, daß die Pointe ziemlich billig ist: Auch Ronald Reagan konnte vor Amtsantritt im Weißen Haus an außenpolitischem Erfahrungsschatz bestenfalls international besetzte Filmparties vorweisen.

Außerdem kommt dem Kandidaten der Demokraten zugute, daß die Amerikaner nach Ende des Kalten Krieges und inmitten einer ökonomischen Krise Versprechungen über Arbeitsplätze, Gesundheitsversorgung und ein besseres Schulsystem hören wollen und an außenpolitischen Visionen weniger denn je interessiert sind.

Clinton hätte auch keine zu bieten – ebensowenig wie Bush. Doch beim Frühstücken im Internationalen Haus der Eierkuchen hat der Gouverneur von Arkansas immerhin einen wahlkampftauglichen Flickenteppich zustandegebracht.

Primat der Ökonomie

Wer denn unbedingt einen Leitsatz für eine Clintonsche Außenpolitik finden will, der stößt auf das Primat der Ökonomie an Stelle des Militärs. „In dieser neuen Ära“, so Clinton in einer Wahlkampfrede vor wenigen Wochen, „sind die Prioritäten für die Außen- wie Innenpolitik gleich – der Wiederaufbau unserer Wirtschaft.“ Eine verschuldete und kranke Ökonomie unterminiere die US-Diplomatie, erschwere die Position bei internationalen Handelsabkommen und „beeinträchtigt unsere Fähigkeit, wichtige militärische Einsätze zu finanzieren“. Analog zum Nationalen Sicherheitsrat will Clinton einen „Ökonomischen Sicherheitsrat“ einrichten.

Aufgrund der Konzentration auf die US-Ökonomie sahen sich Clintons außenpolitische Gesandte wiederholt dazu genötigt, in Europa Befürchtungen eines neuen US-Protektionismus oder gar Isolationismus entgegenzutreten. Eine Clinton-Administration, so schrieb vor kurzem Abraham Lowenthal, Direktor des Zentrums für Internationale Studien der „University of Southern California“, „wird sicher stärker auf die Interessen auf Ansprüche und Klagen der amerikanischen Arbeiter achten.“ Clinton hat das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) zwischen den USA, Mexiko und Kanada unterstützt, will aber in seiner Amtszeit verstärkt für Umschulungs- und Anpassungshilfen für amerikanische Arbeitnehmer sorgen – wohl wissend, daß der Beitritt des Billiglohnlandes Mexiko Tausende von Arbeitsplätzen in den USA vernichten wird.

Wie sich eine Clinton-Administration bei den GATT-Verhandlungen verhalten wird, bleibt abzuwarten. In seinem Wahlprogramm spricht sich Clinton für Freihandelsabkommen aus. Daß Clinton-Berater sich in Europa mehr oder weniger deutlich gegen einen Verhandlungsabschluß vor dem 3.November ausgesprochen haben, hat mit Wahltaktik zu tun. Einen GATT-Erfolg wollten die Demokraten dem amtierenden Präsidenten nicht gönnen.

„Democracy“ lautet ein weiteres Schlagwort Clintonscher Außenpolitik – und hier zeigen sich Spuren der Administration Jimmy Carters. „Eine Clinton-Gore-Regierung wird nie strategische Beziehungen mit gefährlichen, despotischen Regimen eingehen“, heißt es in hehrer Absicht im Wahlprogramm. Dahinter verbirgt sich explizite Kritik an Bushs Politik gegenüber dem Irak, Syrien, Haiti, vor allem aber der Volksrepublik China.

Hier verspricht Clinton, es auf den Konflikt mit der chinesischen Führungsspitze ankommen zu lassen: Die Meistvergünstigungsklausel will er nur gewähren, wenn Peking die Daumenschrauben gegen die Demokratiebewegung lockert. Auch hier spielen ökonomische Interessen eine Rolle: Es geht auch um Importrestriktionen gegen US- Produkte.

Unklar ist, wie sich ein Präsident Clinton zum Nahen Osten verhalten wird. Die Nahost-Friedensgespräche will Clinton weiter forcieren. Man darf allerdings darüber spekulieren, ob letztere unter seiner Amtszeit überhaupt zustande gekommen wären. Der Demokrat hat die Bush-Administration mehrmals scharf dafür kritisiert, die israelische Regierung mit der Verweigerung von Kreditgarantien zur Verhandlungsbereitschaft gezwungen zu haben.

Gegenüber Westeuropa dürfte sich vorerst wenig ändern – aber das Diskussionsklima könnte ein anderes werden. US-Truppen werden bleiben, doch statt der im Bush-Plan vorgesehenen 150.000 Soldaten will Clinton deren Zahl auf 75.000 bis maximal 100.000 reduzieren und in Zukunft mehr Gewicht auf schnelle Eingreiftruppen legen. Außerdem, so versicherte sein Gesandter David Aaron, einst stellvertretender Sicherheitsberater unter Jimmy Carter, werde in einer Clinton-Regierung mehr Offenheit für neue europäische Sicherheitskonzepte herrschen – zum Beispiel für das deutsch-französische Eurocorps.

Mehr Flexibilität und ein neues Gesprächsklima dürfte im Falle eines Wahlsiegs der Demokraten auch UN-Generalsekretär Butros Ghali erwarten. „Eine Clinton- Administration“, schreibt Lowenthal, „ist wahrscheinlich entschieden multilateral orientiert.“ Das sagt jedoch noch nichts über deren Bereitschaft aus, zum Beispiel ausstehende Schulden bei der UNO zu bezahlen.

Zum Golfkrieg hatte Clinton selbst übrigens eine typische Clinton-Position eingenommen: Erst halbherzig dagegen, dann halbherzig dafür. Abzuwarten bleibt, wie er sich als Präsident in Krisensituationen verhalten wird. Zwar hat er sich mehrmals für verstärktes militärisches Engagement im Irak und in Bosnien eingesetzt. Er forderte explizit die militärische Sicherung der Hilfslieferungen nach Sarajevo. Doch dies geschah in Wahlkampfzeiten, in denen Clinton gegen zwei Stigmata ankämpfen mußte: Das des Demokraten, der in den Augen der Öffentlichkeit bei Militäreinsätzen immer zaudert; und das des Vietnamkriegsgegners. Weil er selbst nie eine Uniform angehabt hat, mußte er im Wahlkampf umso mehr beweisen, daß er „Mann und Patriot“ genug ist, um amerikanische Männer und Frauen in einen Krieg zu schicken.

Gegen Stigmata ankämpfen

Wenig Konkretes war aus seinem Mund bislang zum Thema Rußland zu erfahren – und genau diese könnte die Region sein, die ihn vor die erste außenpolitische Krise stellt. Ein Putsch in Moskau würde seine gesamte außen- und innenpolitische Tagesordnung über den Haufen werfen. Abrüstungsverträge stünden dann ebenso zur Disposition wie die Einsparungen im US-Verteidigungshaushalt oder die Vereinbarung mit Moskau, waffenfähiges Uran und Plutonium an die USA zu verkaufen – und nicht meistbietend in den Mittleren Osten.

Über solche Szenarien mag sich Clinton noch keine Gedanken machen, nachdem ihm George Bush in den Umfragen des Wahlkampfendspurts doch noch einmal bedrohlich nahe auf die Fersen gerückt ist und das US-amerikanische Wahlvolk in diesem Jahr längst nicht so berechenbar ist wie 1988. Doch die größten Siegeschancen sind nach wie vor auf Seiten der Demokraten. Gewinnt er, bleiben ihm noch knapp drei Monate bis zur Vereidigung. Dann wird sich Bill Clinton sehr viel schneller außenpolitisch bewähren müssen, als ihm lieb ist.