„Niemand ist mehr engagiert“

Euphorieloser Abschluß der Hilfskonferenzen für die GUS-Staaten/ Die Weltbank übernimmt alle künftigen Verhandlungen mit der GUS  ■ Aus Tokio Georg Blume

Hilfe für Rußland, Reformen fürs Riesenreich der alten Sowjetunion – so lautete das Thema der zweitägigen Tokioter Hilfskonferenz für die GUS-Länder. Ministerdelegationen aus 70 Ländern waren gekommen. Noch einmal, so war geplant, würde die Welt auf großer internationaler Bühne ihr Bekenntnis zu Demokratie und Marktwirtschaft für die ehemaligen Staaten der Sowjetunion ablegen. Doch was geschah? Die Minister redeten vom russischen Winter. Darin waren sich nämlich alle einig: „Bei unserer Beurteilung der Nahrungsmittellage im kommenden Winter“, sagte der deutsche Delegationsleiter, Staatsminister Hans Werner Lautenschlager, „können wir eine relativ gute Ernte im Vergleich zum Vorjahr feststellen.“ Niemand in Tokio wollte dem Deutschen widersprechen.

Das Wissen oder der Wunsch über einen guten russischen Winter bildeten das Leitmotiv der Tokioter Konferenz. Denn nichts von den Zuständen in den alten Staaten der Sowjetunion durfte diesmal dramatisiert werden. Ganz im Gegenteil: Die Weltgemeinschaft wollte auf die Erfolge bei den gewährten Hilfeleistungen zurückblicken. „Wir dürfen uns nicht nur auf die schlechten wirtschaftlichen Zahlen konzentrieren. Entscheidende Fortschritte wurden gemacht“, machte Staatsminister Lautenschläger den Konferenzteilnehmern Mut.

Der Grund für solch pflichtbewußte Genugtuung, wie sie bei weitem nicht nur die Deutschen zeigten, lag vor allem darin, daß die Tokioter Hilfskonferenz ein Ende markieren sollte, nämlich das des sogenannten Washingtoner Prozesses. Der hatte im Januar in Washington begonnen, als George Bush die Regierungen des Westens zusammenrief, um einer drohenden Hungersnot in GUSland entgegenzutreten. Nachdem die erste Nothilfe erfolgt und der Winter überstanden war, folgte im Juni in Lissabon ein zweites Treffen der Außenminister aller hilfswilligen Staaten, bei dem es schon mehr um langfristige Pläne ging.

In Tokio wurde dieser Prozeß nun abgeschlossen: Statt auf multilateraler Regierungsebene weiterzumachen, haben die Teilnehmerländer am Freitag entschieden, alle künftigen Verhandlungen der Weltbank zu überlassen. Die wird sich nun, wie ebenfalls gestern in Tokio bekannt wurde, mit sogenannten „Beratergruppen“ an jedes einzelne GUS-Land wenden. Die Begründung dafür war in Tokio in aller Munde: Nicht alle GUS-Staaten hätten schließlich die gleichen Bedürfnisse. Da sei es eben besser, wenn die Fachleute der Weltbank die Verhandlungen führten. Außerdem könne man keinen „Dauernotstand“ ausrufen und jedes Jahr drei Konferenzen mit siebzig Ministern nur für die GUS-Länder abhalten.

Besonders Rußland tat sich auf dem Weg zur Weltbank schwer. Schließlich ist die Weltbank eine Organisation für Entwicklungshilfe – in Moskau aber fühlen sich die Regierenden bekanntlich nicht als Herren eines Entwicklungslands. Trotzdem gaben die Russen in Tokio nach. Zumindest was die Organisation der technischen Hilfe angeht, will sich Moskau mit der Weltbank an einen Tisch setzen. Nur bei den Finanzierungsgesprächen wird Rußland dann weiter direkt mit den westlichen Regierungen verhandeln.

Unbehandelt ließen die Regierungen in Tokio die Frage der nuklearen Sicherheit in der ehemaligen Sowjetunion. Im Abschlußkommuniqué wurde sie, an die gerade die Deutschen besondere Hoffnungen geknüpft hatten, nicht einmal erwähnt. Besonders in den USA und Japan fehlt hier Verständnis für die Notlage.

Es ging in Tokio also um eine Abwicklung von Prozeduren. Natürlich sagten alle: Das Ende des einen sei der Anfang von etwas Neuem. Das Ende des Washingtoner Prozesses wäre also der Anfang der Weltbank-Beraterrunden. Doch trotzdem blieb unübersehbar: Für sich selbst sagten die Minister ihre Teilnahme an der nächsten Runde ab. Wer so am glaubwürdigsten seine Position vertrat, war der amtierende amerikanische Außenminister Lawrence Eagleburger, der sein Amt nach der Präsidentschaftswahl in den USA sowieso nicht behält und deshalb offene Worte nicht zu scheuen brauchte: „Bei einer Konferenz wie dieser gibt es eine großen Unterschied zwischen dem, was man verspricht, und dem, was man hinterher ausgibt.“

Dabei mangelte es in Tokio selbst an Versprechen. Die angeblich neuen Programme aus den USA und Japan, die verkündet wurden, waren allen Konferenzteilnehmern schon seit Monaten bekannt. Die Europäer mußten dann gestern auch zugestehen, daß sie mit ihrem Bemühen gescheitert waren, besonders Japan enger in die Hilfsprogramme für die GUS- Staaten einzubinden. Denn wie üblich organisierten die japanischen Gastgeber zwar eine wunderbare Konferenz in einem der besten Hotels von Tokio, nur für die Sache Rußlands hatten sie weniger Interesse denn je. Unbekümmert konnte die Tokioter Tageszeitung Asahi Shinbun die Konferenzereignisse zusammenfassen: „Niemand war engagiert dabei. Sogar die Deutschen schickten nicht ihren Außenminister, sondern nur einen Staatssekretär.“