: Grüner Punkt als Konjunkturprogramm
■ Das Duale System Deutschland (DSD) ist für die Chemiebranche ein gutes Geschäft/ Die Plastikindustrie will sich das Recycling vom Leib halten
Die Chemieindustrie hat einen neuen Markt entdeckt: Recyceln von Plastik. Zwar gibt es dafür in der freien Marktwirtschaft keinen Abnehmer – denn die Kunststoffindustrie verwendet lieber billigeres und unbelasteteres Erdöl. Aber die ManagerInnen der krisengeschüttelten Chemiebranche können dennoch guten Mutes sein: Dank der Verpackungsverordnung von Umweltminister Töpfer dürfen sie mit satten Zuwächsen rechnen.
Neun Prozent des Kunststoffabfalls müssen im nächsten Jahr „einer stofflichen Verwertung zugeführt werden“, heißt es im Gesetzestext. Zunächst versuchten die Grüner-Punkt-ManagerInnen vom Dualen System Deutschland (DSD), die Plastikhersteller und -verarbeiter selbst dafür zu gewinnen. Aber die sahen für ein derartiges Engagement wenig Anlaß. In einem offenen Brief an Kanzler Kohl erklärten sie schon im Frühjahr, daß es ökonomisch und ökologisch weitaus sinnvoller sei, den ganzen Plastikmüll einem „Energie-Recycling“ zuzuführen – im Klartext: in die Müllverbrennungsanlagen zu schicken. Auch Export und Zwischenlagerung seien Möglichkeiten, der Verordnung genüge zu tun, behaupteten sie. Stofflich wiederverwertet werden könne Altplastik lediglich bei Parkbänken und Blumenkübeln.
Die Boykotthaltung der Plastikverarbeiter speist sich vermutlich auch aus der Hoffnung, daß die gerade in Brüssel verhandelte EG- Verpackungsrichtlinie ihren Produktionseifer noch weniger hemmen wird als die Töpfer-Verordnung. Zu dieser Annahme berechtigt sie nicht nur die Tatsache, daß Vertreter der Kunststoffindustrie dort fleißig mitmischen, sondern auch die Prämisse, daß die EG keine neuen Handelshemmnisse aufbauen will. Die Chemieindustrie hingegen entdeckte in dem neuen Gesetz die Chance für ein gutes Geschäft. Durch Hydrierung, ein seit dem Zweiten Weltkrieg bekanntes Verfahren, kann aus Kohle oder Plastik Öl gewonnen werden. Bisher war das Verfahren wirtschaftlich allerdings uninteressant, weil das chemisch gewonnene Öl viel teurer ist als reines Erdöl. Dank Töpfers Verpackungsverordnung erlebt die Technik jetzt jedoch ein Comeback.
In der Kohleöl-Anlage Bottrop, die zu gleichen Teilen der Veba Oel AG und der Ruhrkohle Öl und Gas AG gehört, wurde ein 60-Tonnen-Versuch für eine Million Mark gestartet. Jubelnd verkündeten die Grüner-Punkt-Leute den Erfolg. „Das DSD macht zu schnell mit uns Reklame“, meinte allerdings Peter Hardetert, Pressesprecher des Unternehmens. Die technischen Daten seien zwar alle ermittelt und ein 40.000-Tonnen- Versuch in Vorbereitung. Aber bevor es keine festen Verträge gäbe, würde nicht investiert werden. Schließlich müßten Silos und Anlieferstationen gebaut werden; da solle das DSD erst einmal ein angemessenes Angebot vorlegen.
Während die chemische Industrie dem DSD seine Bedingungen stellen kann – denn schließlich hat die Grüner-Punkt-Gesellschaft die Garantie für die Einhaltung der Quoten gegeben –, ist es der Plastikindustrie durch die Boykotthaltung gelungen, sich das teure Recyclingöl vom Hals zu halten. Denn wer könnte sie in der freien Marktwirtschaft zwingen, ein teureres, minderwertiges Produkt zu kaufen? Ulf Kelterborn, Geschäftsführer beim Gesamtverband Kunststoff (GKV), sieht dazu jedenfalls keinen Anlaß: „Das sind ja Preise wie im Drogenhandel!“
Dem DSD wird somit nichts anderes übrigbleiben, als das hydrierte Öl zu subventionieren, damit der Recycling-Kreislauf geschlossen wird. Bezahlen für das Ganze müssen am Ende die VerbraucherInnen. Sie werden für jeden Grünen Punkt zur Kasse gebeten. Vorschlag an das DSD: Aus dem Grünen Punkt ein Markstück machen, plus Kleingedrucktes, versteht sich. Annette Jensen
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