Kein Schutz in Sicht

■ Aids: Langer Weg bis zur Entwicklung eines vorbeugenden Impfstoffes

Frankfurt/Main (taz) – „Bis Ende dieses Jahrtausends sind vielleicht alle Fragen im Zusammenhang mit der Entwicklung eines vorbeugenden Impfstoffes gegen HIV-Viren beantwortet – vielleicht sind dann aber auch noch viele Fragen offen und neue aufgeworfen.“ Der Virologe Reinhard Kurth vom Paul-Ehrlich-Institut wollte und konnte gestern im Rahmen eines Pressegesprächs „HIV- Impfstoffe – Hoffnung für die Aids-Forschung?“ nicht sagen, wann es den ForscherInnen in aller Welt gelingen wird, einen Impfstoff zur Aids-Prophylaxe zu entwickeln: „Alles unsicherer Boden.“

Zwar gelang es dem Wissenschaftler und seinem Team in Versuchen mit Rhesusaffen, eine infektionsverhindernde Immunität der Tiere gegen ein „HIV-ähnliches Virus“ (SIV-Virus/Affenvirus) wenigstes über eine gewisse Zeit zu garantieren. Doch erfolgreiche Experimente an Affen mit Impfstoffen gegen das SIV-Virus seien nur ein Schritt auf dem langen Weg zu einem „Cocktail“ gegen die verschiedenen Ausprägungen des HIV-Virus. Für Reinhard Kurth sind die vielen variablen Viren „das Hauptproblem“. Und in Afrika sei bereits wieder ein neues HIV-Virus entdeckt worden. Kurth: „Man wird das Ding wohl HIV 4 nennen müssen.“

Zahlen, Fakten und Hintergründe zum aktuellen Stand der Ausbreitung von HIV-Infektionen und Aids-Erkrankungen hatte zuvor der Sprecher des Aids-Zentrums des Bundesgesundheitsamtes (BGA), Ulrich Marcus, vorgetragen. Weltweit seien zur Zeit 10 bis 12 Millionen Menschen auf diesem Planeten HIV-infiziert und 1,5 bis 2 Millionen an Aids erkrankt. In der Bundesrepublik infizieren sich jährlich etwa 4.000 Menschen mit HIV. Die Gesamtzahl der HIV-Positiven beträgt nach den Berechnungen des BGA rund 60.000 Personen. An Aids verstorben sind in Deutschland bislang 3.737 Menschen (Stand Dezember 1991).

Ausdrücklich wies Marcus darauf hin, daß sich der Anstieg der HIV-Positiven bei den Homosexuellen „deutlich verlangsamt“ habe. Das Bundesgesundheitsamt führt das auf das gestiegene Risikobewußtsein dieser ohnehin stigmatisierten gesellschaftlichen Gruppierung zurück. Sanfte sexuelle Praktiken hätten sich etabliert, und der Gebrauch von Kondomen sei vor allem bei Schwulen mit häufigem Partnerwechsel obligatorisch geworden.

Dagegen hat der Anteil der Drogenabhängigen und der Fälle mit „vermuteter heterosexueller Transmission“ an der HIV-Positiven- und auch an der Aids-Statistik zugenommen. Nach einer Untersuchung des BGA waschen 17 Prozent der Drogenabhängigen auf der offenen Szene ein gebrauchtes Spritzbesteck nur mit kaltem Wasser ab. FÜr heterosexuelle Frauen bergen die eigenen Männer das größte Ansteckungsrisiko. Diese Gruppe, so Marcus, würde fast ausschließlich durch ihren festen Sexualpartner infiziert. Die Männer verschwiegen nämlich in der Regel sexuelle Kontakte mit Prostituierten hier oder auch im Urlaub und benutzten hier wie dort keine Kondome. Klaus-Peter Klingelschmitt