Im Keim erstickt

■ Erfolglos am Konflikt vorbei-inszeniert: Ariel Dorfmans Stück "Der Tod und das Mädchen" im Thalia Theater

im Thalia-Theater

Ariel Dorfmans Der Tod und das Mädchen ist der Hit der Saison. Über zwanzig Aufführungen an deutschen Bühnen stehen an, nachdem das Drei-Personen-Stück in London und am Broadway ein Riesenerfolg war.

Die Geschichte spielt kurz nach dem offiziellen Ende der chilenischen Diktatur. Gerardo (Hermann Treusch), ein Rechtsanwalt, der gerade vom Präsidenten in eine Komission berufen wurde, die die Menschenrechtsverletzungen unter Pinochet untersuchen soll (allerdings ohne Namen zu veröffentlichen) führt Dr. Miranda (Traugott Buhre), der ihm bei einer Panne geholfen hatte, ins eheliche Haus. In dem hilfsbereiten Arzt meint Gerardos Frau Paulina (Hildegard Schmahl) nun ihren ehemaligen Folterer zu erkennen und macht ihm ihren eigenen Prozeß.

Diese brisante Situation bringt Daniel Karaseks Regiearbeit, der hier scheinbar verzweifelt versucht, sein Talent für Unterhaltungstheater mit seinen politischen Ansichten in Einklang zu bringen, zum Stillstand. Ihm gelingt es nie, mit seinen Schauspielern Charaktere zu entwickeln, die die Auswirkungen der politischen Situation menschlich glaubhaft machen - einer Situation in der repressive und demokratische Kräfte, teilweise in Allianz, einhergehen und individuelle und politische Zerrissenheit sich parallel fortschreiben.

Offenkundig wird dies in der Person des Gerardo, der heimlichen Hauptfigur des chilenischen Cosmopoliten Dorfman. Denn nicht das Opfer Paulina und nicht der vermeintliche Täter Dr. Miranda tragen den wirklichen Konflikt des Stückes aus, sondern Gerardo, der zwischen den Rachegelüsten seiner Frau und seinem demokratischen Gewissen, zwischen Feigheit und Zivilcourage, zwischen Empfindungen von Liebe und Fremdheit zu Paulina zerrieben wird. Hier ist die Person, die dem Stück seinen wahren Kampf, seine Aussage und seine Richtung verleihen, die ein Licht auf die Erblast und die Selbstzensur einer Gesellschaft werfen könnte, die sich gerade aus der Diktatur gepellt hat. Doch genau hier versagen Treusch und Karasek gleichermaßen.

Gerardo ist ein charakterliches Chamäleon, dessen einzelne Seelenzustände keinen Zusammenhang ergeben, obwohl er nach Dorfman der einzige im Stück sein sollte, „der weiß, was er tut“. Treuschs Auftritte sind laut statt genau, aufbrausend statt dicht. Daß Hildegard Schmahl in der Rolle der leidvoll zielstrebigen Paulina aufgeht und Traugott Buhre erholsame Souveränität verstrahlt, ändert nichts daran, daß hier die Chance vertan wurde, den exemplarischen Anspruch Dorfmans für dieses Stück (gemeinsamer) Geschichte auf der Bühne zu beweisen. Till Briegleb