Mit viel Gefühl und Pausen

■ Das ehemalige Theater der Freundschaft in Lichtenberg veranstaltet Marathon-Nächte mit Thesater und Musik

Das Theater der Freundschaft, bei Generationen von Ostberliner Kindern zu DDR-Zeiten bekannt und beliebt, hat sich einen neuen Namen und ein neues Konzept gegeben: aus „Freundschaft“ wurde „carrousel“. Warum das Wort französisch geschrieben werden muß, kann niemand schlüssig beantworten. Der frühere Anspruch, vor allem für Kinder und Jugendliche zu spielen, wurde erweitert – auf Zuschauer von sechs bis sechzig. Mit diesem Vorhaben steigt das Haus in den Ring, in dem die großen Theater der Stadt um Finanzierung und Publikumsgunst kämpfen.

Mit „Schwarzen Nächten“ will das Theater an der Parkaue beweisen, wie ernst ihm ist. Unter diesem Titel lädt es in diesem Herbst mehrmals zum Theatermarathon. Von spätnachmittags bis in die Morgenstunden sind Zuschauer und Zuschauerinnen eingeladen, mehrere Inszenierungen zu sehen, Musik zu hören, zu trinken, zu reden. Nun ist so eine Spektakelidee – gerade in Berlin – nichts Neues. Trotzdem kamen zum ersten Versuch so viele, vor allem Jugendliche, daß es eng wurde im kleinen Foyer und die Veranstalter Mühe hatten, den organisatorischen Ablauf reibungslos zu gewährleisten.

Ein wirkliches Spektakel war dennoch noch nicht zu erleben. Zu straff durchgeplant schien alles, zu eng war der Rahmen, in dem sich das Publikum für die jeweiligen Projekte entscheiden konnte. Die drei Blöcke, in die der Abend aufgeteilt war, boten jeweils eine Stückinszenierung oder eine Collage oder ein musikalisches Programm. Alle Projekte begannen zur gleichen Zeit, die Pausen dazwischen waren so lang, daß es auch in fünf Stunden nicht möglich war, mehr als zwei Inszenierungen zu sehen. Personal aus allen Bereichen des Theaters kümmerte sich rührend um das Publikum, und vielleicht spielt sich alles noch ein und gerät statt des biederen Nacheinander wirklich zum Theatererlebnis.

George Taboris „Jubiläum“, die Antigone von Sophokles und „Der Indianer will zur Bronx“ von Israel Horowitz standen vergangenen Freitag im Mittelpunkt des Marathos. Tabori hatte sich der neue Chefregisseur des Hauses, Peter Schroth, selbst vorgenommen. Es handelt sich um eine Berliner Erstaufführung. (Tabori selbst hatte 1983 die deutsche Uraufführung seines „Jubiläum“ in Bochum herausgebracht.) Der Theatersaal ist der Saal in der Mitte durch eine Wand getrennt — nach der ersten Pause spielt dahinter die Antigone. Das Publikum sitzt auf der Bühne und schaut auf die schwarzverhangenen Stuhlreihen hinunter, die die Grabreihen für Taboris Friedhofsszenerie abgeben: Nach vielen Jahren steigen Tote aus ihren Gräbern, um sich mit ihrem Leben und Sterben auseinanderzusetzen, Wege in die deutsche Geschichte zurückzuverfolgen und Brücken zur Gegenwart zu schlagen. Die Zeitebenen wechseln wie die Erzählweisen der Figuren. Reale Geschichten werden durch alptraumhafte Episoden aufgebrochen, der Grat zwischen Tragik und Groteske ist schmal, und zusamengehalten wird alles vom bitteren, jüdischen Humor des George Tabori.

Schroth hat den Friedhof naturalistisch in Szene gesetzt, eine mit Wasser gefüllte Regentonne fehlt sowenig wie der handelsübliche Müllcontainer. Echtes Laub raschelt auf dem Fußboden, und die Blumen werden mit Wasser gegossen. Entsprechend naturalistisch wird gespielt. Da bleibt nichts unillustriert, immer wieder wird die Aktualität des Textes mit äußeren Mitteln nachdrücklich unterstützt, damit auch die letzte Reihe begreift, daß es um Deutschland im Jahr 1992 geht.

Sehr genau ist die emotionale Verbundenheit des Ensembles mit dieser Arbeit zu spüren, aber an wichtigen Punkten – zum Beispiel dem großen Monolog der Spastikerin (Heidrun Bartholomäus) — scheinen die Schauspieler alleingelassen, zerstören noch nicht mal spektakuläre Regieeinfälle den Gedankenfluß und nehmen dem Text die Wirkung. Mehr Tabori und weniger Schroth hätten dieser Aufführung wohl gutgetan. Sybille Burkert

„Schwarze Nacht“ im carrousel, wieder am 27. und 28. November, An der Parkaue, Lichtenberg