Beschleunigtes Trudeln der Geschlechter

Ab Mittwoch startet die Screwball-Filmreihe im Arsenal  ■ Von Michaela Lechner

Beim Baseball schwirrt ein „Screwball“ mit Effet und hohem Bogen aus dem Spielfeld. „Screwballs“ nennt der englischsprachige Raum Exzentriker, Spinner, Wirrköpfe. „Screwball Comedies“ heißen jene amerikanischen Komödien der dreißiger und vierziger Jahre, in denen Mann und Frau in Gegenwart des anderen Geschlechts beschleunigt trudeln. Über die kalten Monate November, Dezember und Januar verteilt, zeigt das Arsenal-Kino etwa 30 Kostproben des Genres – Filme, die häufig in Wochenendprogrammen des Fernsehens auf- und untertauchten und auf den ersten Blick bekömmliche Unterhaltungskost scheinen.

Screwball Comedies ereignen sich fast ausnahmslos im Milieu der Reichen, Dekadenten. Gutgekleidete, unabhängige Menschen tummeln auf luxuriösen Spielplätzen (Nachtclubs, Parties, Villen), haben Geld und Freizeit im Überfluß und wissen mit beidem nichts anzufangen. Müßiggang allein macht eben nicht glücklich, davon erzählen Screwballs unter anderem. Schließlich entwickelte sich das Genre während der Rezession der dreißiger Jahre, als der damalige US-Präsident Franklin D.Roosevelt den New Deal propagierte und die Nation aufrief, zusammenzurücken und gefälligst die Ärmel hochzukrempeln.

Mit Schwung aus Depression und Depressionen – auch die marode Hollywoodindustrie kombinierte bewährte Muster zum Allheilmittel gegen Trübsal: Liebesgeschichten versetzt mit Märchenelementen, Slapstickeinlagen und hitzigen Wortgefechten verbanden sich zu Komödien, die massenhaft ins Kino lockten und den Zweckoptimismus und die Dynamik des New Deal verströmten. Screwballs verwischten die unübersehbaren Differenzen zwischen gehobenem Leinwandmilieu und Publikumsalltag durch unermüdliche Suggestion. Daß es den Reichen wirklich nicht besser gehen kann als gemeinen Sterblichen, auch davon wissen die Komödien zu berichten. Immerhin verliert auch die High- Society den Kopf, sobald die Liebe ins Spiel kommt.

Falls Klassenunterschiede filmisch aufbereitet, als Spannungsquelle zwischen den ProtagonistInnen dienen, liefern Screwballs das Rezept zur Überwindung ökonomischer Barrieren gleich mit. „It Happened One Night“ (Regie: Frank Capra, 1934) führt anschaulich vor Augen, wie Mann und Frau im Cinderella-Stil salopp zueinanderfinden. Da nichts unmöglich ist, wenn die Liebe regiert, können sich der arbeitslose Reporter (Clark Gable) und die Millionenerbin (Claudette Colbert) zu guter Letzt für die Ewigkeit verbinden.

Bis zum unausweichlichen Happy-End stürzen alle Screwballs ihre Figuren in rasant montierte Verbalschlachten und groteske Situationen. Verstrickungen müssen entwirrt, Lügen enttarnt, Verwechslungen aufgedeckt werden. Und doch geht es in dem aufgeschäumten Hin und Her nie um den Irr-Sinn der Liebe, sondern in weichem Schwarzweiß um das Nahziel Paarbildung.

Virtuos strategisch kämpfen intelligente Frauen um verklemmte, tolpatschige Männer (Cary Grant, William Powell, Melvyn Douglas oder Fred MacMurray). Die meisten Screwball-Heldinnen sind ihren männlichen Gegenparts überlegen, und sie wissen es. „Men don't get smarter as they grow older, they just lose their hair“, bringt es Claudette Colbert in „The Palm Beach Story“ (Preston Sturges, 1942) auf den Punkt.

Screwball-Ladies dürfen mit den „Waffen der Frau“ anlocken und müssen sich doch verweigern. Prototypisch agiert Irene Dunne in „My Favorite Wife“ (Garson Kanin, 1940) und „The Awful Truth“ (Leo McCarey, 1937). Wie ihre Kolleginnen Carole Lombard, Claudette Colbert, Jean Arthur drapiert sie sich auf Sofas, klimpert mit den Wimpern und huscht im Nachthemd durchs Bild. Erotik wird, dem rigiden „Production Code“ ein Schnippchen schlagend, in die Bilder gewebt. Voyeuristisch fällt der Kamerablick durch Fenster, Türrahmen und undefinierbare Öffnungen. Naturaufnahmen und vieldeutige Dialoge verweisen immer wieder auf die abwesende Sexualität.

Während Erotisches im Verborgenen glimmt, agiert die Heldin auf der Leinwand als patente Kameradin. Screwball-Frauen sind dementsprechend nicht außergewöhnlich schön, auch nicht sexy oder freizügig wie ihre filmischen Vorgängerinnen Garbo, Harlow oder Dietrich. Sie sind hübsch (Typ „pretty housewife“), selbstbewußt und haben die Zügel fest in der Hand. Trotzdem gibt es in ihrem Leben nur ein Ziel, die Männer ihres Herzens um den Ringfinger zu wickeln.

Wenn es gelingt zu sehen, ohne nachzudenken, ist das Screwball- Vergnügen ungetrübt. Man kann dem glamourösen Ambiente beiwohnen, sich mit Figuren verstricken, über sie lachen und ist den Trudelnden doch immer einen Schritt voraus. Ob in „Merrily we live“ (Norman McLeod, 1938) ein Schriftsteller mit einem Tramp verwechselt wird, oder in „Nothing Sacred“ (William Wellman, 1937) ein angeblich todkrankes Mädchen aus der Provinz den städtischen Luxus erlebt – besserwissend läßt es sich genüßlich zurücklehnen und den Turbulenzen zusehen.

Beschwingt und beinah unbemerkt wird dabei einem konservativen Beziehungsbild gefröhnt und dem weiblichen Geschlecht schlußendlich der Platz im Heim am Herd reserviert. Screwball-Komödien spielen vor, wie sich Mann und Frau im vorehelichen Zustand austoben und Abenteuer erleben, ohne Normen und Konventionen ernsthaft zu verletzen. Bevor das alltägliche Eheleben in die Bilder rückt, beginnt jedoch der Abspann.

„Srewball Comedy“. Beginn 4.11. um 22.15 Uhr im Arsenal, Welserstraße 25, Charlottenburg, Telefon: 2186848