„Wo man auch hingeht, es kiekt ja immer eener“

■ Gesichter der Großstadt: Die Modeverkäuferin Petra Peik, Miss Lichtenberg '92, bewarb sich um den Titel der Miss Berlin/ Die 21jährige zeigt keine Schüchternheit

Als zwanzigste Braut steigt sie aus der Versenkung. Angestrengt lächelnd umrundet sie das Podium, einer von 23 Träumen in Weiß. Dann schreitet sie im Takt zu Mendelssohns Hochzeitsmarsch ganz nach vorne auf den Laufsteg, während Moderatorin Viviane Günther über ihr Kleid in Entzücken gerät – „vorne kniekurz, hinten lang, etwas für Leute, die sich nicht entscheiden wollen“ – und zum zwanzigsten Mal auf den Sponsor, ein Tegeler Modehaus, hinweist.

Danach hat Petra Peik, die diesjährige Miss Lichtenberg, das „Opening“ der Wahl zur Miss Berlin '92 überstanden. Noch ist alles offen: Die 21jährige Verkäuferin hat genausoviel Beifall bekommen wie die anderen. „Natürlich sind alle meine Freunde hier und klatschen“, gibt sie zu. Aber schließlich haben alle 23 Bezirksmissen möglichst viele Claqueure in die Disco „Joe an der Hasenheide“ geschleppt. Der vollverspiegelte Saal ist gut gefüllt bis in die obere Etage, wo die Eltern der Missen Posten bezogen haben. Petras Familie kommt aus Kyritz in Brandenburg. „Ein Dorf ist das nicht, da wohnen schließlich mehr als zehntausend Leute“, sagt Petra bestimmt. Wäre das HO-Kaufhaus, in dem sie bis vor zwei Jahren gearbeitet hat, nicht in Konkurs gegangen, wäre sie wohl auch dort geblieben. „Aber alle jungen Leute sind aus Kyritz weggegangen, weil man da keene Zukunft hat.“

In Berlin hat Petra Glück gehabt und fast sofort Arbeit gefunden. Seit Anfang 1991 bedient sie in einer Modeboutique in Charlottenburg. Viel mehr erwartet sie nicht vom Leben: „Mir macht dieArbeit wahnsinnig viel Spaß – ich wollte immer was mit Leuten zu tun haben, nicht irgendwo vor einem Computer sitzen. Und ich bin immer froh, wenn die Kunden zufrieden aus dem Haus gehen.“ In ihrer Freizeit trainiert Petra regelmäßig im Fitneßstudio und geht in die Disco oder ins Kino. „Am liebsten in Actionfilme“, sagt sie und fügt schnell hinzu: „Niveauvoll müssen sie aber auch sein.“

Petra gibt sich betont damenhaft mit ihren anmutigen Bewegungen und ihrer dunkelblonden Hochfrisur im Stil der Jahrhundertwende. Für den Durchgang der Missen im Abendkleid hat sie sich ein kurzes schwarzes Paillettenkleid mit kokettem Federbesatz am Saum ausgesucht, das ihre 1,80 Meter – sie ist die größte Kandidatin – gut zur Geltung bringt. Eine Dreiviertelstunde dauert die Parade der Missen, die in Vierer- und Fünfer-Gruppen aufs Podium steigen und dort eine Reihe sorgfältig einstudierter Tanzfiguren vorführen. Das krampfhafte Lächeln weicht nicht von Petras Gesicht. Seit sechs Wochen proben die Kandidatinnen diese Show. Wieder und wieder sind sie zu den Klängen von „New York“ den Laufsteg entlanggetänzelt. Diese ganze Tortur läßt Petra aber „einfach nur aus Spaß an der Freud“ über sich ergehen und nicht, um einen teuren Preis zu ergattern: „Ich weiß gar nicht, was man da gewinnen kann.“ Konkurrenzdenken gäbe es nicht unter den Kandidatinnen, betont sie.

Den zweiten Durchgang im knallrosa Badeanzug bewältigt Miss Lichtenberg ohne sichtbare Schüchternheit. „Klar braucht man Mut dazu, wenn eenen alle anstarren – aber andererseits, wenn man irgendwo hingeht, kiekt ja immer eener“, erklärt sie. Kein Wunder, daß sie vom Publikum als eine von acht Kandidatinnen in die Endrunde gewählt wird. An diesem Punkt aber verläßt Petra das Glück – die Jury, zum großen Teil Vertreter der Sponsor-Firmen, wählt Miss Spandau auf den ersten, Miss Köpenick auf den zweiten und Miss Wilmersdorf auf den dritten Platz. Sie gewinnen Ruhm, Autos und Reisen. Den Verliererinnen bleibt ein Armvoll Blumen, Sekt, Schirme und Kosmetiktaschen, ein halbes Jahr Gratis-Ausleihe in einer Videothek sowie der mehrfach wiederholte Trost der Moderatorin, daß „Erfolg in Liebe und Beruf“ ja viel wichtiger sei als der Miss-Berlin-Titel. Während die Siegerin sich Tränen aus den Augen tupft, bemühen sich die abgeschlagenen Bezirksmissen tapfer um Contenance – besonders Petra. Aber die Enttäuschung steht ihr trotzdem ins Gesicht geschrieben. Miriam Hoffmeyer