■ Kurort Oberstaufen im Allgäu vergibt Kur-Strafzettel: „Schlimmer als in der DDR“
Oberstaufen (taz) – Es war Anfang Juli. Am Sonntag abend besuchte Familie Minack aus Cottbus alte Freunde in Oberstaufen. Die Wiedersehensfreude war groß, wurde jedoch schnell getrübt. Schon wenige Stunden später, am Montag morgen, fand Klaus Minack hinter seiner Windschutzscheibe ein merkwürdiges Schreiben, einen Kur-Strafzettel. Von der Kurkontrolle wurde er ermahnt: „Wir können über Ihren Aufenthalt keine diesbezügliche Anmeldung vermerken und ersuchen Sie, dies umgehend nachzuholen.“
Der Gastgeber der Familie Minack, Karl-Heinz Scherr, traute seinen Augen kaum, Kurtaxe ist seiner Überzeugung nach nur dann fällig, wenn er an Gäste vermietet, die sich zu Erholungszwecken in der Gemeinde aufhalten. Doch vermietet hat er noch nie. Also teilte er der Marktgemeinde mit, daß wohl eine Verwechslung vorliegen müsse, da seine Gäste nur wenige Tage zum Freundschaftsbesuch gekommen seien. Antwort des Marktes Oberstaufen: Um ein Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht zu vermeiden, müsse er die bei ihm wohnenden Personen unverzüglich anmelden.
Der verärgerte Gastgeber wandte sich hilfesuchend an die Regierung von Schwaben. Diese wiederum forderte das Landratsamt Oberallgäu als Dienstaufsichtsbehörde zur Berichterstattung auf. Das Landratsamt tat gleiches bei der Gemeinde Oberstaufen. Die erklärte, Familie Minack habe Kurtaxe entrichtet und angegeben, „in Oberstaufen Urlaub machen zu wollen“. Genau das hat allerdings die Familie aus Cottbus nicht getan, wie sie schriftlich versichert. „Wir haben nie gesagt, daß wir zur Erholung da sind, und haben nur bezahlt, um Herrn Scherr und uns Ärger zu ersparen“, beteuert Karin Minack. Ihr Mann kommentiert die Vorgänge so: „Diese Meldepflicht und Beitragspflicht, wenn wir Freunde besuchen, ist ja schlimmer, als das früher in der DDR war.“
Von falschen Angaben, die die Marktgemeinde Oberstaufen gemacht habe, will Bürgermeister Walter Grath freilich nichts wissen. „Wir bleiben bei unserer Darstellung. Da steht Aussage gegen Aussage.“ Wenn jemand länger als zwei Tage Bekannte besuche, stehe eindeutig der Erholungszweck im Vordergrund, und der löse eben eine Kurbeitragspflicht aus. „Es ist doch eindeutig, daß wir recht gehandelt haben“, wiegelt der Bürgermeister weitere Nachfragen ab. Obwohl ihn sogar die wohlgesonnene Dienstaufsichtsbehörde hat wissen lassen, daß „das wohl im konkreten Fall etwas überzogen war“. Die Familie aus Cottbus war eine Woche in Oberstaufen, allerdings mit Unterbrechungen wegen eines Verwandtenbesuches in Zürich. Aufenthaltsmotiv war nicht ein Erholungszweck. Und genau dies Aufenthaltsmotiv ist laut bayerischem Innenministerium ausschlaggebend für eine Melde- und Beitragspflicht.
Die Regierung von Schwaben sieht die Sachlage weniger eng als die Gemeinde Oberstaufen und hat ihr das auch schriftlich mitgeteilt. „Es kann einem Gastgeber nicht aufgegeben werden, private Gäste bei der Kurverwaltung zu melden“, sagt Oberregierungsrätin Silvia Gockel. „Nicht kurbeitrags- und somit auch nicht meldepflichtig sind in aller Regel Personen, die sich zu Verwandten- oder auch Freundesbesuchen im Kur- und Erholungsgebiet aufhalten.“
Karl-Heinz Scherr und auch Familie Minack fühlen sich durch die Auskünfte bestätigt. Sie wollen es nicht hinnehmen, daß die Marktgemeinde zu solch fragwürdigen Schnüffelaktionen greift, um Kurbeiträge einzutreiben, noch dazu von Leuten, die gar nicht zur Kur kommen. Klaus Wittmann
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