Ein Widerspruch in sich

■ betr.: "Atom-Ethik gegen 'Akzeptanzkrise'", taz vom 26.10.92

betr.: „Atom-Ethik gegen ,Akzeptanzkrise‘“, taz vom 26.10.92

Wenn es nicht so traurig und bitterernst wäre, könnte mensch laut lachen. Schon das Wort Ethik mit der Atomwirtschaft in Verbindung zu bringen enthüllt die Hybris dieser Leute – es ist ein Widerspruch in sich. Erwin Chargaff (Biochemiker) äußerte sich einmal im Zusammenhang mit den sich abzeichnenden Problemen der Mikrobiologie und Gentechnik in der Weise, daß er meinte, ein Bio-Ethiker sei ähnlich zu bewerten wie ein Börsen-Ethiker. Ihnen sei das gleiche Vertrauen entgegenzubringen wie jenen, bei denen es angeraten sei, sich lieber gleich beide Taschen zuzunähen. Er war also der Meinung, daß die „ethische Bewertung“ von Problemen durch WissenschaftlerInnen Unsinn sei, da diese von den gleichen Leuten ausgehalten würden, die diese Probleme erst verursachten (s. sogenannte Drittmittelvergabe durch die Wirtschaft).

Im Zusammenhang mit den unabweisbaren Risiken der Atomwirtschaft, den ungeklärten Fragen der atomaren Müllendlagerung, den äonenhaft langen Zeiträumen, die es dauert, bis heute „endgelagertes“ hochradioaktives Material ungefährlich sein wird, ist es schlicht eine Verhöhnung der Menschen und eine Perversion des Ethikbegriffs, wenn von einer „Atom-Ethik“ gesprochen wird. Daß sich in diese Kampagne der Atomindustrie und der Stromkonzerne auch wieder WissenschaftlerInnen einbinden (richtiger einkaufen) lassen, zeugt einmal mehr von der Unreformierbarkeit des Denkens dieser Leute. In Kenntnis des vagabundierenden atomaren Potentials wird wohl erst dann eine Abkehr von diesen Technologien erfolgen (auch in der Politik), wenn die ersten Atomterroristen einen radioaktiven Flächenbrand ausgelöst haben. Renate Helling, Berlin