„Ein Fall für den Bundesrechnungshof“

Ein überflüssiger Prozeß?/ Das Urteil gegen Peter-Jürgen Boock und Christian Klar wird weder zu neuen Erkenntnissen noch zu neuem Strafmaß für die bereits Inhaftierten führen  ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier

Es ist sehr still im frischgetünchten Stammheimer Prozeßgebäude. Unsicher, auf der Suche nach einem geeigneten Platz, trippelt eine Frau im weißen Kopftuch durch die Reihen der orangefarbenen Zuschauerstühle. Draußen am Eingang hatte sie einen Strauß Lilien abgelegt: „Für Petra Kelly, Gert Bastian und die beiden Angeklagten – hab' ich mir gedacht.“

Vorne, auf der Richterbank, haben ein paar Mitglieder des 2.Strafsenats am Stuttgarter Oberlandesgericht zu schmunzeln begonnen. Johannes Riemann, der Strafverteidiger des RAF-Aussteigers Peter-Jürgen Boock, hatte in seinem Plädoyer begonnen, über die allzu pauschalen Vorwürfe der Karlsruher Bundesanwälte bezüglich des Tatbeitrages seines Mandanten an einem Raubüberfall der RAF im November 1979 auf die Schweizerische Volksbank in Zürich zu räsonieren. Boock war an dem Überfall beteiligt. Er hatte am Ende einer wilden Flucht durch die Züricher Innenstadt auf einen Polizisten geschossen und ihn verletzt. Das ist nicht neu. Das hat der Angeklagte selbst längst vor Beginn dieses Verfahrens in einer sogenannten Lebensbeichte offenbart. Dem Vorwurf der Bundesanwälte aber, Boock sei auch noch für drei weitere Schießereien, bei denen im Verlauf der Flucht eine Passantin erschossen und zwei Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, als Mittäter zu verurteilen, widersetzt sich der Verteidiger. Der Begriff eines „übersinnlichen Tatbeitrags, den man weder sehen noch hören noch schmecken“ könne, so Riemann, sei im Strafgesetz nicht vorgesehen.

Es gibt noch mehr Ungereimtheiten in diesem Verfahren. Die angebliche Tatwaffe etwa, mit der das mitangeklagte RAF-Mitglied Christian Klar die Züricher Passantin erschossen haben soll, wurde vor zwei Jahren vom Bundeskriminalamt vernichtet. Oder auch, daß die tödliche Kugel niemals gefunden wurde.

Doch auch das war nicht neu. Nichts war neu in diesem zehntägigen Stammheimer Verfahren. Alles war vor dem Koblenzer Oberlandesgericht im Prozeß gegen den ebenfalls tatbeteiligten Henning Beer schon einmal ausführlich verhandelt worden. Weit genauer und ausführlicher als die wenigen Schweizer Tatzeugen hatte sich Peter-Jürgen Boock in seinem umfangreichen Geständnis an diesen 19. November vor dreizehn Jahren erinnert.

Nachdrücklich genug hatten Verfassungsschützer und sogar der Vorsitzende dieses Strafsenats darauf insistiert, das Verfahren einzustellen, weil weder neue Erkenntnisse noch eine Veränderung des Strafmaßes für die schon seit Jahren zu lebenslänglichen Haftstrafen verurteilten zu erwarten seien. Boock ist zu dreimal lebenslänglich plus 15 Jahre, Klar zu fünfmal plus 15 Jahre verurteilt. Daran ändert auch dieses Verfahren nichts mehr, außer den immensen Kosten, das es verursacht.

„Schon wieder ein paar tausend Mark Steuergelder, das ist ein Fall für den Bundesrechnungshof“, meint eine Prozeßbeobachterin, als Bundesanwalt Rainer Griesbaum nach Abschluß der Plädoyers erneut einen Beweisantrag zur Vernehmung weiterer Schweizer Zeugen stellt. Auch der Vorsitzende Richter Herbert Schmid ist irritiert von soviel Hartnäckigkeit und will wissen, ob sich die Bundesanwälte damit nicht dem Verdacht der Prozeßverschleppung aussetzen.

Soweit wird es nicht kommen. Morgen wird der 2. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts sein Urteil sprechen. Daß Herbert Schmid kaum daran denkt, die Angeklagten wegen vollendeten Mordes, Raubüberfalls, fünf Mordversuchen und eines weiteren Raubs zu verurteilen, wie dies von der Bundesanwaltschaft gefordert wurde, sondern wie im Falle des Henning Beer eine Verurteilung wegen schweren Raubes mit Todesfolge für möglich hält, hat er in einem richterlichen Hinweis schon vorab kundgetan. An den lebenslangen Freiheitsstrafen der beiden Angeklagten wird das nichts rütteln. Ob mit oder ohne Kronzeugenbonus für Peter-Jürgen Boock.

Ein deutliches Wort durch das Stuttgarter Oberlandesgericht in Sachen Kronzeugenregelung wäre gleichwohl geboten. „Auf Biegen und Brechen“, so ein Gerichtskommentator vor eineinhalb Jahren, habe die Bundesanwaltschaft den Kronzeugenstatus bei der RAF-Aussteigerin Susanne Albrecht in deren Verfahren eingebracht, obwohl sie im Sinne der Kronzeugenregelung nur wenig zur Aufklärung alter und zur Verhinderung neuer Straftaten der RAF beigetragen hatte. Ankläger war damals wie heute Bundesanwalt Rainer Griesbaum. Boock war mit seiner Lebensbeichte in diesem Frühjahr zum bedeutendsten Kronzeugen des „Deutschen Herbstes“ sowie der Entführung und Ermordung des ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer und vieler weiterer RAF-Taten geworden, und hatte es gleichwohl nicht auf einen Kronzeugenbonus abgesehen. Bundesanwalt Rainer Griesbaum und seine Karlsruher Behörde aber müssen sich fragen lassen, welch gnadenlose Beliebigkeit im Umgang mit Kronzeugen unser Rechtsstaat eigentlich noch akzeptieren soll.