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Zwei Wochen vor dem SPD-Sonderparteitag über eine Grundgesetzänderung des Asyl-Artikels diskutierten verschiedene Landesverbände am Wochenende die Richtung. Die Positionen bleiben auch weiterhin unklar, lediglich der Osten steht geschlossen hinter dem Vorsitzenden Engholm.

Die Petersburg der SPD wackelt

Nach den Parteitagen vom Wochenende plädieren sieben SPD-Landesverbände gegen eine Änderung des Artikels 16 Grundgesetz. Engholm erwartet ein „sehr knappes Rennen“ beim Bundesparteitag. Weite Bereiche seiner Partei erkennten an, daß es um eine lösungsbedürftige Frage gehe. „Wir müssen signifikant neue Instrumente der Steuerung von Zuwanderung insgesamt bekommen, nicht nur von Asylbewerbern“, sagte Engholm.

Aus Kollisionskurs zu ihrem Parteivorsitzenden ging in Berlin Jutta Limbach, Justizsenatorin. Auf dem Landesparteitag der Berliner SPD sagte sie, sie wolle erst einmal den konkreten Nachweis geführt sehen, in welchen Fällen eine Änderung des Artikels 16 erforderlich sei. Sie brachte damit den Unmut der Engholm-Gegner auf den allgemeinsten Nenner. Der ausländerpolitische Sprecher der Berliner SPD, Eckhardt Barthel, mokierte sich darüber, daß erst vor einem halben Jahr das Gesetz zur Beschleunigung des Asylverfahrens beschlossen wurde, und nun, noch vor dessen Wirksamwerden, die Grundrechtsänderung diskutiert werde. Gerd Wartenberg, MdB, parteiinterner Protagonist einer Grundgesetzänderung, vermittelte allerdings den Eindruck, als wenn zu solch einer Erprobung kaum Zeit mehr bliebe. Er rechnete den Delegierten vor, daß bereits im nächsten Jahr 120.000 Asylbewerber in Kasernen untergebracht werden müßten, wenn es nicht zu einer Verkürzung des Aufenthaltsrechts komme. Eine SPD, die sich nur auf die Beibehaltung des Artikels 16 konzentriere, so seine Einschätzung, erweise sich vor diesem Hintergrund als nicht handlungsfähig. Eine Verfassungsänderung sei unumgänglich,„um verschiedenen Formen des Mißbrauchs wirksamer zu begegnen und um den Regelungen des Schengener bzw. Dubliner Abkommens anschließen zu können“. Wartenberg half auch die Schützenhilfe Oskar Lafontaines nicht. Der erntete als Gastredner für sein Eintreten für eine Grundrechtsänderung Buhrufe.

Beide mußten sich von Limbach einen Mangel an strategischem Denken in der Asylauseinandersetzung mit der CDU vorwerfen lassen. Wolfgang Thierse fürchtet allerdings, daß die Basis der Parteispitze einen Beschluß vorlegen wird, der kaum noch Spielraum für die Gespräche mit der CDU läßt. Er forderte gegenüber der taz eine politische Option, „damit überhaupt Gespräche mit der CDU stattfinden können“.

Der über 50.000 Mitglieder zählende SPD-Bezirk Hannover stimmte am Samstag mit überwältigender Mehrheit für den parteiinternen Asyl-Kompromiß, den der hannoversche Bezirksvorsitzende und niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder ausgearbeitet hatte. Bei nur zehn Gegenstimmen und zwei Enthaltungen nahmen die gut 200 Delegierten einen Antrag des Bezirksvorstandes an, der den Asylartikel des Grundgesetzes im wesentlichen nur geändert sehen will, um die Anerkennung von Asylentscheidungen anderer europäischer Staaten zu ermöglichen. Vor dem Bezirksparteitag bestritt Gerhard Schröder, daß seine Partei auf dem Bonner Sonderparteitag vor einer Zerreißprobe stehe. In Demokratien habe man gelernt, zwischen Sach- und Personalfragen zu trennen, sagte Schröder in Hinblick auf die sich abzeichnende Niederlage von Björn Engholm in der parteiinternen Asyl-Debatte. Nur in geschlossenen Organisationen, in denen es keine innerparteiliche Demokratie gäbe, dürfe der jeweilige Generalsekretär nicht überstimmt werden. Schröder warnte vor den Versuchen, Sach- und Personalentscheidungen zu verknüpfen. Wer dies tue, unterschätze die SPD-Parteimitglieder, die alle bereits jetzt diese Verknüpfung mitbedenken würden. Der niedersächsische Ministerpräsident war in Hannover überzeugt, daß der Bonner SPD- Sonderparteitag zum Thema Asyl keinen Formelkompromiß und auch keine offene Formulierung beschließen wird, die der SPD- Bundestagsfraktion in den Verhandlungen mit dem Regierungslager freie Hand läßt. Der Bezirksparteitag beschloß denn auch, daß über ein zwischen SPD-Bundestagsfraktion und dem Bonner Regierungslager auszuhandelndes Asyl-Paket der SPD-Parteirat abstimmen soll, bevor es zu einer Abstimmung über das Paket im Bundestag kommt.

Der Bezirksausschuß des größten SPD-Bezirks Westliches Westfalen hat in Dortmund die Einführung von sogenannten „Länderlisten“ abgelehnt und gleichzeitig die Sicherung des Asylrechts als Individualrecht für alle Asylbewerber gefordert. Weil der Bezirksvorsitzende Franz Müntefering die Beschlüsse gegenüber der Presse gleichwohl als „Rückendeckung“ für den Kurs des Parteivorsitzenden Björn Engholm verkaufte, reagierten viele Delegierte mit Empörung. Der Juso-Bezirksvorsitzende Stefan Lennardt erklärte, Müntefering sei „offenbar nicht auf derselben Veranstaltung wie die Delegierten“ gewesen, denn für die von der Parteiführung in Petersberg eingeleitete Wende habe es eine „klare Niederlage“ gegeben. Wörtlich heißt es in dem Bezirksbeschluß: „An der Rechtswegegarantie des Artikels 19 Abs. 4 GG halten wir ebenso fest wie am individuellen Grundrecht auf Asyl des Artikels 16 II 2“. Die Anerkennung von Asylentscheidungen anderer europäischer Länder „und eine sinnvolle Zuordnung und Begrenzung der unterschiedlichen Zuwanderungsmöglichkeiten“, so heißt es weiter, „können eine Ergänzung des Grundgesetzes nötig machen“. Was damit gemeint ist, lassen die Ruhr-Sozis indes offen.

Während auf den Landesparteitagen um Positionen gefeilscht wurde, hat in Bonn SPD-Bundestagsgeschäftsführer Karlheinz Blessinger alle Versuche der CDU/CSU scharf zurückgewiesen, die SPD in Fragen des Asylrechts unter Druck zu setzen. Mit Begriffen wie „Staatsnotstand“ trage Kohl zur Panikmache bei. dr/ü.o./js

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