Der virtuelle Bienenstock

■ Bremens Mailboxen werden immer beliebter, und nette Smileys begleiten alles Ein und Aus / Die Bremer Computerkids, 3. Folge

hierhin die Grafik

Datentreff - aus: Michael Weisser (Hg.), Computerkultur

Ach, wir mischen uns einfach mal in eine Konferenz. André wählt 37 59 32, die Nummer von K.G.B., drückt ein paar Tasten und schreibt in Blau: „André: Ich hab hier einen vonne taz!“ Sogleich antwortet sehr hellrot eine „Claudi: Sei gegrüßt, lieber Reporter!“ — bloß drunter in Grün erhebt ein Mahner das Wort, nämlich: „Peter: Paßt jetzt bloß auf!“ Aber weil hier ohnehin

kommt und geht, wer will, plauscht's bald wieder unbekümmert vor sich hin.

Bei K.G.B. ist immer was los. Die Mailbox, eine der größten in Bremen, kann sieben User gleichzeitig verkraften und hat für jeden was: Zwölf vernetzte PC's bieten zusammen monströse zwei Gigabyte Speicherplatz; darin finden sich Tauschangebote, Hilferufe und Pannentips, Datenserum gegen die neuesten Viren; aus der Bilder- Abteilung kann man sich Grafiken „ziehen“, die irgendein Schöpfer dort stolz ausgelegt hat. „Jaja“, sagt André, „Pornos sind da schon auch mal dabei“. Überdies zirkuliert in den Boxen private Post nebst jüngstem Tratsch, von nützlichen Programmen für alle Welt mal ganz abgesehen.

All die basarische Fülle wimmelt natürlich nur in den Chips der K.G.B.-Zentrale. Die User sitzen zuhause an ihren Computern und sind per Modem und Telefonleitung mit der Mailbox verbunden; das allerdings immer öfter und immer länger.

„Über Stunden ziehn sich allein schon diese ständigen Konferenzen hin“, erzählt André Steinberger (19), Zivi und Mitglied des K.G.B.-Vereins, der sich die hohen Betriebskosten der Mailbox teilt. Wer vom Talken genug hat, blättert gern noch ein bißchen rum oder klinkt sich nebenan in die Spielebox ein und schaut, wie weit er's diesmal bringt auf den Ruhmestafeln der Szene, den sogenannten Highscores. So kommt nebenbei auch die Post zu ihrem Recht.

Weil das Mailbox-Programm von K.G.B. eine genaue User- Statistik nach Maßgabe der Anrufshäufigkeit führt, kann man gut ersehen, wie's brummt in diesem Bienenstock: Selbst Nr. 50, weit abgeschlagen, hat sich noch 212 mal gemeldet im letzten Monat und dabei insgesamt 1057 Telefonminuten ausgeharrt.

Ein halbes Hundert Boxen wird's wohl geben in Bremen, schätzt André. Sie heißen M.A.D. und B.A.M. und F.B.I. oder einfach auch GayBBS und sind allesamt gut besucht; von den ganz vergessenen abgesehen, wo nur noch alle drei Tage ein Datenflaneur ein paar Worte fallen läßt.

Dafür gibt es vielleicht bald schon wieder eine neue Anlaufstelle: Dann kriegt André Steinbergers kleine Computergruppe drunt– im Keller des Gröpelinger AWO-Nachbarschaftshauses ihre eigne Leitung. Schon lang suchen die Kids buchstäblich Anschluß ans virtuelle Treiben; man geht ja sonst so leicht verloren an diesen Computern zuhause. Schon basteln sie an den Programmen, welche dereinst ihre Box verwalten und die Gäste betreuen sollen; wenn's klappt: call 61 30 14.

BMS, die allererste und längst prähistorische Bremer Mailbox, wurde 1985 aufgemacht: Da reichte noch ein alter Commodore C 64. Die neueren Boxen brauchen, um Besucher zu locken, schon etwas teureren Stoff, was das Vereinswesen unbedingt fördert. Dennoch machen immer wieder neue Boxen auf; eine der jüngsten ist der Tower of Shadows. Diese Mailbox hat immerhin fünf Ports, verträgt also fünf User zugleich — und bietet ausschließlich Spiele an. Die allerletzte Gründung namens Master Circle ist gar rein auf Fantasy-Spiele spezialisiert.

Dennoch finden Abzocker und Raubkopisten kaum Beute in den Boxen: Weil der Staatsanwalt niemals schläft, hat sich so etwas wie eine „Freiwillige Selbstkontrolle“ in der Szene durchgesetzt: André zum Beispiel bekleidet bei K.G.B. das Ehrenamt eines Boxwarters und kümmert sich drum, daß keine schwarze Höllenware durch die Box geschleust wird.

Überhaupt ist die Mailbox- Szene ein Reich des Friedens und der Leutseligkeit. Man hilft einander, schiebt sich praktische News zu und vergnügt sich ausdauernd an diesen kostenlosen Public-Domain-Spielen, die anderswo niemand mehr anrührt. André zeigt mir eins, und ich sehe Unmassen von Text: ein Abenteuerspiel ganz ohne Grafik; wer mittun will, muß sich quasi durch ein interaktives Buch lesen.

„Schade“, meldet da zum Beispiel der Monitor, „du hast die Mine ausgelöst und verlierst 4 Moves“. Sonst nichts, kein Gejaule, keine fliegenden Fetzen, nur Buchstaben, und ich als Mann der Schrift kann meine Rührung kaum verhehlen. „Wir spielen sowas gern“, sagt André, „nur wegen der Highscores. Immer sieht man, wie die andern grad waren.“

Und nur damit man auch sieht, wie dem fernen Gegenüber hinter seinen Textzeilen zumute ist, hat die Mailbox-Szene nebenbei das Briefwesen endgültig humanisiert und die sogenannten Smileys erfunden, kleine Interpunktionsgesichter am Ende der Eingaben, z.B. im Lächelfalle :-) oder, sollte der User ein trauriger Punk sein, ein =:-( oder, wenn ihm zum Zwinkern ist, ein ;-) oder, falls einer mal ausspucken möchte, ein :-' oder sonst eines der zirka 60 erforschten Smileys für jede Gelegenheit. Manfred Dworschak