Wiederkäuer des Zeitungs-Feuilletons

■ 4. Marler Medientage: Vom Elend der Kulturvermittlung im Fernsehen

„Wer manche Sendetexte liest, manche Moderationen nachblättert, begegnet einer wortreichen Kulturbranche. Wie aber reagiert darauf jener Zuschauer, der gerade den ,Tatort‘ gesehen hat? Ist das seine Sprache?“ Diese selbstkritische Frage stellte Werner Filmer, Leiter des WDR-Programmbereichs „Kultur und Wissenschaft“, sich, seinen Redakteurskollegen aus den (öffentlich-rechtlichen) Fernsehsendern und einer Reihe von Medienkritikern bei den „4. Marler Tagen der Medienkultur“. Auf dem Prüfstand der Tagung, die das Adolf-Grimme- Institut erstmals in Kooperation mit ARD und ZDF organisiert hatte, stand die Kulturberichterstattung im Fernsehen.

Von den Referenten und Diskutanten wurde einmal mehr die Misere der Kulturvermittlung im Medium Flimmerkiste beklagt. Doch wirklich an die Wurzeln des Übels gelangte die Diskussion nicht: das fortgesetzte Wiederkäuen des bürgerlichen Feuilletons in den elektronischen Medien.

Berichtenswert ist weiterhin die „Hochkultur“, die große Premiere in München, das Filmfestival in Venedig und der neueste Erguß von Günther Grass. Auf dem Programm stehen dagegen weder der Comic noch die unbekannte Rockgruppe oder die kulturellen Leistungen in der Provinz. Auch im Marler Veranstaltungsprogramm setzte sich diese Tradition fort: Im medienkritischen Mehrkampf legte der Literaturkritiker Heribert Seifert die Einstiegshöhe für den Diskurs gleich auf dem Niveau Spiegel contra Zeit fest. Zwangsläufig kam er bei einem Vergleich der Kulturteile zu dem Schluß, daß die Zeit – vor allen Dingen wohl auch wegen ihrer Betonung der Kunstgattung Literatur– besser sei als der Spiegel, bei dem er den „Eindruck des lärmenden, aber in der Substanz belanglosen Rummelplatzbetriebes“ gewonnen habe. So war es auch kein Wunder, daß sich selbst widerspruchsvolle Geister nicht einen Moment lang regten, als die Existenzberechtigung des „Literarischen Quartetts“ und anderer Philologen- „Tutti-Fruttis“ im deutschen Fernsehen als unstrittig postuliert wurde.

Lediglich einer wies genüßlich auf den tiefen Graben zwischen den elitären Ansprüchen der Bildungsbourgeoisie und dem Kulturverständnis der „kleinbürgerlichen Jungproletarier“ mit Nackenspoiler und ärmellosem T-Shirt von gegenüber: der Berliner Publizist Michael Rutschky. Schade, daß seine mit bildungsbürgerlichem Wissensballast durchzogene Rede seine Kritik selbst ad absurdum führte. Niemand sah sich daraufhin gezwungen, die Misere des Feuilletons aus Rutschkys Rede heraus zu isolieren und zu debattieren.

Highlight-Clip statt Kino-Hits?

Lebhafter ging es dagegen in einer Workshop-Diskussion über Kinomagazine im Fernsehen zu. Ausgerechnet Grimme-Chef Lutz Hachmeister mußte sich gleich von mehreren Seiten vorwerfen lassen, seine Kritik an den Kinosendungen im deutschen Fernsehen sei „gefährlich oberflächlich“. Berechtigten Hinweisen auf allzu oberlehrerhafte Posen und andere Marotten der deutschen TV-Film- Journaille ließ er als positives Gegenbeispiel Bilder aus dem Kinomagazin des englischen Musiksenders MTV folgen: ein der Videoclip-Ästhetik verhafteter Film mit den Highlights aus Sean-Connery- Leinwandrollen und dem atemberaubenden Nachrichtenwert der Rangfolge der Kassenhits in den Londoner Kinos. Liegt hier wirklich die Zukunft der Kulturberichterstattung?

So ist das Fazit der Tagung auch ohne sie bekannt: „Daß sich eine Sendung mit hoher Kunst und Kultur beschäftigt, ist noch kein Beleg für Qualität.“ Jürgen Bischoff

Nachzulesen sind die Referate und weitere Texte zum Thema in agenda 5/92, der Zeitschrift des Adolf-Grimme-Instituts, für 10 DM erhältlich beim Adolf-Grimme-Institut, Eduard-Weitsch- Weg25, 4370 Marl.