Plutonium auf fliegendem Holländer?

Japanischer Atommüllfrachter seit Samstag abend verschwunden/ In Cherbourg warten die Journalisten und spekulieren/ Plutonium stammt womöglich gar nicht aus Japan  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) – Der japanische Plutoniumfrachter „Akatsuki Maru“ ist verschwunden. Eineinhalb Tage nach dem Verlassen des französischen Militärhafens Brest ist das Spezialschiff im Westatlantik nicht mehr aufzufinden – zumindest für die Öffentlichkeit.

Der Frachter hatte den Hafen von Brest am Samstag abend gegen 23.30 Uhr verlassen und sollte bei einer Fahrzeit von 16 Stunden am Sonntag abend, spätestens Montag früh im geplanten Verladehafen Cherbourg ankommen und dort 1,5 Tonnen japanisches Plutonium an Bord nehmen.

Die französische Industrieministerin Dominique Strauss-Kahn hatte noch am Freitag Offenheit über die Verladung des hochbrisanten Strahlenmaterials angekündigt. Sogar Videokameras sollten die Aktion übertragen. Die JournalistInnen warteten – allein der Frachter kam nicht.

Spekulationen schossen ins Kraut. Strauss-Kahn hatte am Freitag vor der Presse das Auslaufen des Frachters aus Brest zunächst für Sonntag abend angekündigt. Das plötzliche Verschwinden des Schiffes am Samstag abend und die schon am Sonntag abend offenkundige Verspätung auf der Küstentour nährten den Verdacht, die Journalisten sollten irregeführt werden. Die französische Zeitung Libération stellte gleich zwei Hypothesen auf. Entweder, so das Blatt, die 133 Edelstahlbehälter mit den 1,5 Tonnen Plutonium seien auf anderen Wegen schon nach Brest geschafft worden und der japanische Frachter von dort womöglich bereits auf dem Weg in die Heimat. Oder die Beladung mit dem mehrfach verpackten Plutonium erfolge unter Militärschutz auf See.

Beide Hypothesen hielt Antony Froggatt von Greenpeace gestern allerdings für eher unwahrscheinlich. „Wir warten hier weiter auf das Boot“, sagte der Umweltschützer der taz. Er glaube nicht, daß die französischen Behörden das Plutonium ungesehen nach Brest hätten schaffen können. „Das wäre bemerkt worden.“

„Sehr unwahrscheinlich“ sei auch eine Verladung des strahlenden Bombenstoffs auf See. Eine solche Aktion sei dort angesichts der fehlenden Infrastruktur „unglaublich gefährlich“. Das Wetter war gestern an der französischen Küste außerdem sehr schlecht. Der Wind blies mit Stärke acht, und die Sicht war nach Froggatts Angaben geradezu miserabel. Greenpeace spekulierte auch, die französische Industrieministerin Dominique Strauss-Kahn hätte es sich sicher nicht entgehen lassen, den in Cherbourg wartenden hunderten JournalistInnen einen derart geglückten Coup mitzuteilen. Aber auch Froggatt hatte bis gestern nachmittag in Cherbourg nichts mehr von dem Frachter erfahren.

Unabhängig davon, ob die Verladung schon geklappt hat, deuteten sich gestern weitere politische Probleme mit Plutoniumladung an. Nach den Angaben, die die französischen Behörden über die Beschaffenheit des Plutoniums gemacht haben, „handelt es sich sehr wahrscheinlich gar nicht um japanisches Plutonium“, so Atomexperte Mycle Schneider vom Fachblatt WISE.

Kontakte mit japanischen Spezialisten hätten ergeben, daß die Brennstäbe, aus denen in La Hague das Plutonium herausgelöst wurde, deutlich stärker abgebrannt gewesen wären, als das in japanischen Reaktoren üblich sei. Das heißt, die Brennstäbe wären längere Zeit in Reaktoren eingesetzt gewesen, als das in Japan normalerweise geschieht.

Stimmt die Vermutung von Mycle Schneider, steht die japanische Regierung vor dem Problem, der heimischen Öffentlichkeit klarmachen zu müssen, was sie mit dem ausländischen Bombenstoff will. In dieser Frage sind auch die Nachbarländer Japans ausgesprochen sensibel. Schneider ging gestern mit seinen Vermutungen noch weiter. Das bei der Wiederaufarbeitung in La Hague abgetrennte Plutonium könnte sehr gut aus abgebrannten deutschen Brennstäbe stammen. „Deren Abbrand ist relativ hoch.“