„Ich wollte mich bereichern“

■ Ostberliner Polizist verurteilt: Er hatte vietnamesische HändlerInnen beraubt

Moabit. Tränenüberströmt und rot vor Scham sitzt er am Ende auf der Anklagebank. Die fünf Wochen Untersuchungshaft seien nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, sächselt der 27jährige Polizist Tino B. leise vor sich hin, er bitte um „eine Chance zur Bewährung“. Doch die gewährt ihm die Wirtschaftsstrafkammer nicht. Weil er am 19. Juni dieses Jahres im Dienst eine Vietnamesin geknebelt, sie betatscht und ihr Geld und unversteuerte Zigaretten weggenommen hat, wird er wegen schweren Raubes im minderschweren Fall und versuchter Strafvereitelung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Der in Ostberlin lebende Angeklagte scheint zu jenen braven, unauffälligen, überangepaßten Menschen zu gehören, die nach der deutschen Vereinigung ohne autoritäre Anleitung von oben aus ihrem Gleis kippten. Vorher, da hatte er als Soldat treulich drei Jahre seinem Staate gedient, bis er Verkehrspolizist wurde. Doch nach der Wende ging alles schief: wegen der steigenden Lebenshaltungskosten bekam er finanzielle Probleme, dann lief ihm auch die Frau mitsamt dem kleinen Sohn davon. Und das, sagt er tränennaß, „obwohl ich nicht rauche, nicht trinke, niemals fremdgegangen bin“. Im Juni flatterte ihm dann noch ein Anwaltsschreiben mit einer höheren Unterhaltsforderung für sein Söhnchen ins Haus. Das, sagt er, sei der Auslöser gewesen.

In einer Zeitung habe er gelesen, daß Polizisten vietnamesischen Straßenhändlern Zigaretten weggenommen und in die eigene Tasche gesteckt hätten. „Die Polizisten wurden entlassen“, fügt er hinzu, „aber ich habe nicht damit gerechnet, erwischt zu werden.“ Eine Einlassung, die man dem bubihaften Angeklagten mit dem kleinen Schnäuzer durchaus abnimmt – im Gegensatz zu seinen verschiedenen Tatversionen.

Noch bei den polizeilichen und richterlichen Vernehmungen hatte er ein Geständnis abgelegt. Schon dreimal vorher, berichtete er damals, habe er, bewaffnet mit seiner Dienstpistole, Vietnamesen festgehalten und ihre Personalien notiert, „damit sie an eine Amtshandlung glauben“, obwohl „ich mich nur bereichern wollte“. Das sei auch bei der Frau so gewesen, jener Vietnamesin, die sich das zu seinem Unglück nicht gefallen ließ und noch am Tattag Anzeige erstattete. Während des Prozesses aber fällt ihm dann doch plötzlich eine andere Version ein: Erstens habe er keine Strafvereitelung betreiben und sie tatsächlich anzeigen wollen. Und zweitens habe er seine Waffe zu Hause im Schrank liegenlassen – ein rechtlicher Umstand, der den nicht geringen Unterschied zwischen Diebstahl und Raub ausmacht. „Herr B.!“, grollt gefährlich die Vorsitzende Richterin, und sein Verteidiger zieht ein besorgtes Gesicht. Der ans Gehorchen gewöhnte Angeklagte versinkt in seinem Stuhl: Ja, nein, doch, es sei so gewesen, wie in seinem ersten Geständnis geschildert.

Womöglich sogar noch schlimmer. Die Vietnamesin Ly L., die die Zigaretten nur für eine kurzzeitig abwesende Freundin bewacht haben will, berichtet im Zeugenstand auch noch von unsittlichen Berührungen. Zuerst habe er sie vor sein Dienstauto gezerrt und ihr eine Knebelkette umgelegt, danach aber wieder losgekettet. „Ich hatte große Angst“, sagt sie, „er guckte sehr böse, er drückte mich am Hals auf den Rücksitz, schloß die Tür ab und fuhr in eine Nebenstraße.“ Dort habe er ihr zwischen 80 und 100 Mark aus den Hosentaschen geholt, ihr unter dem T-Shirt an die Brüste gefaßt und von vorn und hinten in die Hose hinein, allerdings nicht bis zur Scham. Das habe er „nur zur Eigensicherung“ getan, behauptet der Angeklagte. Er habe jetzt eine neue Freundin und so etwas „nicht nötig“.

Aber deswegen wird er ja auch nicht verurteilt. Sondern wegen der anderen Delikte, die er laut Gericht planvoll und „mit krimineller Intensität“ begangen hat. Sein Geständnis, seine geringe Beute und der mangelnde Vorsatz, die Dienstwaffe einzusetzen, hätten jedoch für ihn gesprochen. Ute Scheub