Global werben, lokal werben

■ MTV sprang in Berlin durch das geschlossene Fenster/ Die deutsche Werbeinsel muß erst noch genehmigt werden

Die News! Der internationale Video-Clip-Sender MTV bekommt ein Berliner Fenster. Geschlagene zwei Minuten pro Stunde soll künftig ein lokales Einsprengsel im MTV-Kabel der Hauptstadt zu sehen sein. Produziert wird es von der Firma Media Port, die aus der Berliner Projektgesellschaft für Kabelkommunikation hervorgegangen ist und sich seitdem zu einem der größten Berliner Medien-Dienstleistungsunternehmen gemausert hat. Besagtes MTV-Fenster soll vor allem Infos und News aus der Berliner Musikszene bringen. Und natürlich: Werbung, wie eigentlich alles auf MTV. Ein lukratives Geschäft, denn in dem mit 800.000 Anschlüssen größten Kabelnetz Europas sehen täglich über 150.000 BerlinerInnen das MTV-Programm. Die lokalen Werbekunden stehen auf der Matte, um „ohne Streuverluste jugendliche Zielgruppen direkt anzusprechen“.

Die Party! Das neue Schaufenster war den Media-Port-Leuten Anlaß genug, um zu einer großen MTV-Party zu blasen. Geladen wurde in die Firmenräume in der alten AEG-Fabrik im Wedding. Und alle waren sie gekommen, die Brüder und Schwestern im Zeitgeiste des Flackerfernsehens. Die Girls gestylt, als ginge es zum Miss- Contest, die Boys so proper und cool wie die Recken in der Männer-Vogue. Wahlweise nuckelte man an den Promo-Zigaretten oder an den spacigen Großraum- Schnuller-Flaschen, die ein namhafter Cola-Hersteller unters Volk warf. Überhaupt ließen sich die künftigen Werbekunden des lokalen MTV-Fensters nicht lumpen und sponsorten, was das Zeug hielt, von Schnittchen bis Eiskonfekt. Unübersehbar vertreten durch Plakate, Plastikschirmchen und Promotion-Stände.

LP-große Schweißflecken am Sektstand

Eine Wendeltreppe, die die Stockwerke verband, wurde mit zunehmender Füllung zum Fleischwolf, dessen Windungen bisweilen bis zu 40 Personen Lebendmasse zu verarbeiten hatten. Dessen ungeachtet hob Media-Port-Geschäftsführer Hans-Peter Scholz zu einer Begrüßungsansprache an, in deren Verlauf er bemerkenswerte Einsichten betreffend die „erfolgreiche globale elektronische Massenkommunikation“ zum besten gab. Daß ihm dabei der Schweiß auf der Stirn stand, lag allein daran, daß sich die Luft längst zu einem zähen Brei aus Transpirat und Nikotin verdichtet hatte. Ein situierter Herr von der Deutschen Welle, der sich offenbar ungewollt aus den Redaktionsräumen im sechsten Stock in das jugendliche Partygeschehen verirrt hatte, klammerte sich fassungslos an sein drittes Schnittchen. Am Rednerpult versuchte unterdessen ein Herr die Bedeutung der Tombola zu erklären, deren Reinerlös einem Roma- Projekt in der ČSFR zukommen sollte (soziales Engagement!). Von derartigem Betriebsethos unbehelligt, rotierte der Kellner am Sektstand inzwischen mit LP-großen Schweißflecken unter den Achseln, um die moussierende Menge mit Henkell-Dry zu tränken, und namenlose Models in namhaften Marken-Kostümen wippten über den Laufsteg.

Das Ende! Das Beste kommt immer zum Schluß: Der Witz an der ganzen Sache nämlich ist, daß das gefeierte Fenster vorerst geschlossen bleibt. MTV rollt wie eh und je durchs Berliner Kabel: nix Pudelsalon, nix Möbel-Hübner, Pfennings Feinkost, Getränke Hoffmann. Da sich die Medienanstalt Berlin-Brandenburg aufgrund von parteilicher Proporzstreitigkeiten noch immer nicht gebildet hat, wartet man im Wedding weiter vergeblich auf die nötige Sendegenehmigung. Was vielleicht auch sein Gutes hat, denn ob sich die gestylte MTV-Gemeinde mit der berüchtigten muffigen Berliner Lokalwerbung anfreunden kann, scheint nach dieser Party mehr als fraglich.

Die Bilanz! Wie die taz erfuhr, sollen während des kosmopolitischen Schwoofs bei der angrenzenden Deutschen Welle insgesamt vier Videorecorder und ein Spiegel aus der Damentoilette abhanden gekommen sein. La Musette