Neblige Planübererfüllung

■ Seit einem Monat sendet der SFB sein Drittes Programm

MedienredakteurInnen können grausam sein. Meine machten mir kürzlich den harmlos klingenden Vorschlag: „Schreib doch mal was über B1!“ Bis dahin hatte ich zwar geahnt, daß Fernsehen auf die Dauer harte Arbeit sein kann – doch dieser Selbstversuch war schlimmer als das übliche Dämmerprogramm. Einkanal-TV ohne Wegzappen.

Doch der Reihe nach: Anfang Oktober war der Sender Freies Berlin (SFB) aus der bisherigen Nord-Schiene (N3= NDR, SFB, Radio Bremen) ausgeschieden. Seitdem sendet auf dieser Frequenz im Berliner Dritten der „Metropolensender“ (Eigenwerbung) B1. Beim Tagesprogramm kooperieren SFB und der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) aus Leipzig im Verhältnis 40:60, der in Potsdam gleich nebenan sitzende Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) mischt mit etwa einer Stunde mit. Seit Programmstart ist B1 als „schlechte Ware“ oder „SFBiedermeier“ kritisiert worden. Die fairste und vielleicht auch fieseste Beurteilung ist immer noch das Messen an eigenen Ansprüchen. Und so ungenau das selbstgesteckte Ziel eines „Metropolen-Fernsehens“ ist, so sicher wird es vom Tagesprogramm nicht erreicht. Da erfahren wir Wissenswertes vom Motorsport aus Sachsen, vom Tischtennis in Thüringen und all den Sorgen, Nöten und Noten (Volksmusik!) in den MDR- Ländern. Ernteeinsatz in Sachsen! Planübererfüllung in Suhl! Mit diesen Berichten entlockte uns schon das DDR-Fernsehen müde Seufzer. Das soll Fernsehen für eine Metropole sein? Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt sind ja für Berlin nicht mal direkte Peripherie.

Eine sinnvolle größere Zusammenarbeit von SFB und ORB in der Region Berlin-Brandenburg gibt es bislang nicht. Dafür kennen sich die Intendanten Günther von Lojewski (SFB) und Udo Reiter (MDR) von ihrer gemeinsamen Zeit beim Bayerischen Rundfunk. Vielleicht fällt es ihnen deshalb so schwer, in Preußen den WDR-Import und Intendanten des ORB, Hansjürgen Rosenbauer, als Dritten in ihren Bund im Dritten aufzunehmen. Einen eindeutigen Berlin-Bezug haben hingegen die neuen Gameshows „tip top“ und „Solo für Zwölf“ (Quizfrage: „Wie heißt die Einkaufsmeile in Berlin 44?“). Nun sind diese Veranstaltungen auch nicht sehr viel dämlicher als andere ihrer Art. Doch wieder: die eigenen Ansprüche! Hatte nicht von Lojewski erklärt, er wolle das Dritte wieder dazu bringen, „insbesondere Bildung, Wissen, Information zu vermitteln“? Mit diesem Quark?

Die „Biss-Kids“ lassen sich nichts vorkauen

Längst nicht alles ist schlecht, was da über den Schirm flimmert. Sehenswerte Beiträge und Sendungen gibt es immer wieder. Ob es die Kultursendung „Alex“ ist, bei der Joschka Fischer und Berlins Innensenator Heckelmann aufeinander losgelassen werden, ob das Kinomagazin „Muwie“, der „Kirchplatz“ oder die „Hey Biss Kids“, wo eben diese Kids moderieren (und sich nichts von Erwachsenen vorkauen lassen müssen): Das ist informativ und manchmal richtig spannend. Lob verdient auch die Rettung des Ost-Sandmännchens, selbst wenn dafür die „Sesamstraße“ nur noch donnerstags erscheint und verzweifelte Eltern in Berlin bereits um Hilfe rufen.

Der Bildschirm verdüstert sich mit Beginn der Nachrichten. Die „Abendschau“ bietet die gleiche dröge Nabelschau wie ehedem. Hier erinnern wir uns mit Wehmut an das nordische „DAS“ aus seligen N3-Zeiten. Da ist das Konzept der „Spätabendschau“ mit weniger Beiträgen, diese dafür ausführlicher, schon interessanter. Insgesamt drängt sich ein Verdacht auf: Ist das Metropolen-Fernsehen vielleicht so lahm, weil die Metropole selbst so mieft?

Vehement wehrt sich der SFB gegen das Wort vom „Billigprogramm“ auf B1. Der Etat mit 25 Millionen Mark bestehe aus reinen Produktionskosten, Ausrüstung und Personalkosten seien nicht eingerechnet, heißt es aus dem Sender. Da die Verpflichtungen innerhalb der ARD weniger geworden seien, erreiche man durch Umverteilung im Hause, daß nicht mehr Geld ausgegeben werde als für den Beitrag zur N3-Nordkette. Diese, allen „extra drei“-Fans sei es gesagt, hat inzwischen einen Antrag auf Aufnahme ins Berliner Kabelnetz ab Januar 1993 gestellt.

Wirklich innovativ ist B1, wenn keiner hinguckt. Vor neun Uhr morgens gibt's kein Testbild; nein, zur Freude aller Testbildtester sendet eine schwenkbare Kamera Bilder vom Dach des SFB-Gebäudes. Besonders stimmungsvoll wirkt die Hauptstadt an nebligen Herbstmorgen. Aber ob das reicht fürs Metropolen-Fernsehen? Bernhard Pötter